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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos
Autoren: William Boyd
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vernichtendem Blick. Er erwiderte ihn nicht, sondern stand, ganz der Hausherr, am Kamin – der mit Scheiten gefüllt, aber nicht angezündet war – und betrachtete angestrengt den Läufer zu seinen Füßen; sein Ellbogen ruhte auf dem Sims, in dem fleckigen Spiegel, der über ihm hing, war sein Hinterkopf zu sehen. Jetzt schaute er Eva an, aber sein Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck. Auf einmal wurde mir klar, warum ich diese Panik empfand: Die Atmosphäre schien gesättigt, geradezu geronnen von der gemeinsamen Vergangenheit der beiden – einer Vergangenheit, an der ich keinen Anteil hatte und deren dramatischen Endpunkt ich nun unfreiwillig miterlebte. Ich kam mir vor wie ein Voyeur – ich hatte hier nichts zu suchen, und trotzdem war ich hier.
    »Könnten wir ein Fenster aufmachen?«, fragte ich zögernd.
    »Nein«, sagte Romer, ohne meine Mutter aus den Augen zu lassen. »Auf dem Tisch dort steht Wasser.«
    Ich ging an den Seitentisch, auf dem ein Tablett mit Gläsern und Karaffen aus Bleikristall stand. Neben den Karaffen mit Whisky und Brandy stand eine dritte, halb gefüllt mit Wasser, das sichtlich verstaubt war. Ich goss mir ein Glas ein und trank die lauwarme Flüssigkeit. Während ich schrecklich laute Schluckgeräusche machte, blickte Romer zu mir herüber.
    »In welcher Beziehung stehen Sie zu dieser Frau?«, fragte er.
    »Sie ist meine Mutter«, erwiderte ich postwendend und empfand absurderweise so etwas wie Stolz auf all das, was sie durchgemacht und hierhergeführt hatte, in dieses Zimmer. Ich ging hinüber zu ihr und stellte mich neben sie.
    »Herr im Himmel«, sagte Romer. »Ich kann es nicht glauben.« Irgendwie wirkte er extrem angeekelt. Ich schaute meine Mutter an und versuchte mir vorzustellen, was in ihrem Kopf vor sich ging, wie sie es verkraftete, diesen Mann nach so vielen Jahren wiederzusehen, den Mann, den sie aufrichtig geliebt hatte – glaubte ich jedenfalls – und der sich so unglaubliche Mühe gegeben hatte, ihren Tod herbeizuführen. Aber sie wirkte sehr ruhig, sehr stark. Romer wandte sich wieder an sie.
    »Was willst du, Eva?«
    Meine Mutter wies auf mich. »Ich will dir nur sagen, dass sie alles weiß. Ich habe alles aufgeschrieben, Lucas, ihr alles gegeben – sie hat das Manuskript. In Oxford gibt es einen Professor, der ein Buch darüber schreibt. Ich wollte dir nur sagen, dass die Jahre deines Versteckspiels gezählt sind. Alle werden erfahren, was du getan hast, und das sehr bald.« Sie atmete tief ein. »Es ist vorbei.«
    Er schien sich auf die Lippe zu beißen – alles hatte er erwartet, nur das nicht.
    Er breitete die Hände aus. »Schön. Ich werde ihn verklagen. Ich verklage dich, und du gehst ins Gefängnis. Du kannst nicht das Geringste beweisen.«
    Meine Mutter lächelte spontan, und ich wusste, warum – das war schon so etwas wie ein Geständnis.
    »Ich wollte, dass du das weißt, und ich wollte dich noch ein letztes Mal sehen.« Sie machte einen Schritt vorwärts. »Und ich wollte, dass du mich siehst. Dich wissen lassen, dass ich immer noch sehr lebendig bin.«
    »Wir haben dich in Kanada verloren«, sagte Romer. »Nachdem klar war, dass du dorthin gegangen warst. Du hast es sehr geschickt angestellt.« Er überlegte kurz. »Du solltest wissen, dass deine Akte nie geschlossen wurde. Wir können dich immer noch verhaften, unter Anklage stellen, verurteilen. Ich brauche nur diesen Hörer abzunehmen – und du wirst noch diese Nacht verhaftet, egal, wo du bist.«
    Jetzt zeigte sich am Lächeln meiner Mutter, dass sie die Macht über ihn errungen hatte – endlich hatte sich das Blatt gewendet.
    »Warum tust du’s dann nicht, Lucas?«, sagte sie auffordernd, provozierend. »Na los, lass mich verhaften. Aber du wirst es nicht tun, nicht wahr?«
    Er blickte sie an, sein Gesicht verriet nichts, er hatte sich total unter Kontrolle. Trotzdem genoss ich den Triumph meiner Mutter – am liebsten hätte ich gejubelt und gejuchzt vor Freude.
    »Für die britische Regierung bist du eine Verräterin«, sagte er tonlos, ohne die Spur einer Drohung.
    »Natürlich«, erwiderte sie mit Sarkasmus. »Wir sind alle Verräter: ich und Morris und Angus und Sylvia. Ein kleines Nest von britischen Verrätern beim AAS Ltd. Nur einer ist geradlinig und loyal geblieben: Lucas Romer.« Ihr Blick war voller Verachtung und ohne jedes Mitleid. »Nun ist für dich doch noch alles falsch gelaufen, Lucas.«
    »Was falsch gelaufen ist, war Pearl Harbor«, sagte er mit einem gepressten
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