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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft
Autoren: Annette Meyers
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»Meine Freundin, Ms. Wetzon.«
    Edward nickte Wetzon zu, ging zu dem Schaltbrett an der Wand, steckte einen Stöpsel in einen numerierten Anschluß, nahm ein Telefon ab und wartete.
    »Ja. Ms. Osborn und Ms. Whitman sind auf dem Weg.«
    Hazel und Wetzon sahen sich an und lächelten. Kein Mensch verstand anscheinend Wetzons Namen beim erstenmal richtig.
    »Zu den Aufzügen nach rechts«, sagte Edward wie ein Automat und hatte dann den Anstand, verlegen dreinzuschauen, als Hazel ihm leise dankte.
    Zusammen gingen Hazel und Wetzon langsam durch die schöne alte Halle: Marmorböden mit Art-deco-Motiven, große Fensterflächen mit Blick auf einen geometrisch angelegten Garten, der ein wenig an den beim Frick Museum weiter unten an der Fifth Avenue erinnerte. Mehrere große Sträuße von Schnittblumen standen auf kleinen Tischchen aus Messing und Holz neben Lehnstühlen und Sofas. Alles sprach von einer anderen Zeit, von Anmut und Würde und einer stillen, zurückhaltenden Vornehmheit.
    Wetzon drückte auf den Aufzugknopf, während Hazel sich auf eine gepolsterte Lederbank davor sinken ließ.
    Die Aufzugtür ging auf, und ein älteres Paar, passend in Pelze und schwere Wintersachen gehüllt, stieg aus. Ein schlaksiger junger Mann in der grauen Hausuniform grinste sie aus dem mahagonigetäfelten Aufzug an. »Wie geht es Ihnen heute, Ms. Osborn? Kalt genug für Sie?« Die Frage war, wie diese Wetterfragen meistens, anscheinend rhetorisch, denn er trat beiseite, um sie eintreten zu lassen, ohne eine Antwort abzuwarten. Er drückte »20«, und die Tür schloß sich hinter ihnen.
    Die kleine Vorhalle im zwanzigsten Stock hatte ebenfalls einen gemusterten Marmorboden. Leuchtendrote Tapeten mit einem Arabeskenmuster zierten die Wände. Eine alte Lampe aus geätztem Glas mit einem in Blei gefaßten Schirm hing an einer Messingkette von der Decke. Es gab zwei Türen, eine rechts und eine links.
    Hazel läutete an der rechten, und als das Echo der Glocke verhallte, hörte sie einen kleinen unterdrückten Schrei. Hinter ihnen klickte etwas leise. Wetzon drehte sich um, aber die andere Tür blieb geschlossen. Vielleicht beobachtete sie jemand durch den Spion. Nichts Besonderes in einer paranoiden Stadt wie New York, überlegte Wetzon, wo sogar die wohlhabenden älteren Menschen Angst hatten.
    Die Tür flog auf, und eine Erscheinung sagte: »Hallo, hallo, meine Liebe. Sehen Sie«, sprach sie zu jemandem über die Schulter weiter, »sehen Sie, Ihre Freundin ist hier. Ich habe Ihnen gesagt, daß sie kommt, meine Liebe. Und Sie müssen Ms. Whitman sein. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sie packte Wetzons Hand und schwenkte energisch ihren Arm auf und ab.
    »Kommen Sie, ich nehme die Mäntel, es ist so kalt, nicht, und der Wind, was für ein Wind, ts, ts, ts.« Das alles kam in unglaublicher Geschwindigkeit und mit starkem russischem Akzent heraus. Die Sprecherin war eine kleine hühnerbrüstige Frau in weißer Uniform. Eine Masse platinblond gebleichter Locken türmte sich planlos auf ihrem Kopf auf. Sie hatte dichte falsche Wimpern an Lidern, die dick in Schwarz nachgezogen und mit graublauem, goldgesprenkeltem Lidschatten beschichtet waren, leuchtend rot geschminkte Wangen und glänzendrot lackierte Lippen. Schwere goldene Ohrringe baumelten an langgezogenen Ohrläppchen.
    Sie hängte ihre Mäntel in den Flurschrank und redete immerzu weiter. »Ich koche uns einen schönen heißen russischen Tee«, kündigte sie an und schwankte in Sandaletten mit Pfennigabsätzen davon.
    »Leslie, jetzt dürfen Sie den Mund zumachen«, murmelte Hazel boshaft, wieder mehr wie die alte Hazel. »Das ist Ida.«
    »Du meine Güte, Hazel, so was von aufgedonnert.«
    »Sie ist Peepsies Privatpflegerin. Gehen wir hinein.«
    Wetzon, die Hazel hinterhertrottete, war überwältigt von dem Reichtum, von der goldenen chinesischen Tapete, den alten Ölgemälden in schweren geschnitzten Rahmen, den erlesenen alten englischen Möbeln und dem chinesischen Porzellan. Ein matter alter Läufer lief über den gepflegten Parkettboden. Zwei riesige Urnen standen zu beiden Seiten des weiten Durchgangs.
    Peepsie Cunningham war eine sehr wohlhabende Witwe.
    Als Wetzon unter dem hohen, breiten Bogen durchging, befand sie sich in einem großzügigen quadratischen Zimmer mit ähnlicher Einrichtung: alte englische Beistelltische, ein Teppich in zartesten Blautönen und Beige und Rosarot, ein hervorragender Chinoiserie-Sekretär, noch mehr Porzellan, ein rosarotes Damastsofa mit
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