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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft
Autoren: Annette Meyers
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bremsen lassen. Sie ging jetzt auf die Siebzig zu, und Wetzon liebte ihren Schwung und ihr Engagement. Und ihre Neugier.
    »Sie hält mich jung«, behauptete Hazel. »Wie Woody Allen. Und wie Sie«, hatte sie gesagt, als Wetzon sie zum letztenmal besucht hatte. »Sie müssen immer junge Freunde haben, Leslie. Die hindern Sie daran, sich zu ernst zu nehmen.«
    Wetzon stieg an der 72. Street aus dem Bus und ging über die Straße zum San Ambroeus. Sie und Hazel liebten das Café, obwohl es sündhaft teuer war. Es war reine Verschwendung, aber es war ein schönes Gefühl, sich mal etwas Besonderes zu gönnen.
    Sie lief schneller, als sie Hazels Silhouette in dem alten Sealmantel durch die beschlagenen Scheiben des Cafés erkannte. Wetzon blickte argwöhnisch — irgend etwas war jedenfalls... komisch. Sie stieß die Tür auf, und Hazel drehte sich um. Unwillkürlich hielt Wetzon den Atem an. Hazels Gesicht war kreidebleich und spitz unter dem burgunderroten Filzhut mit der kessen Feder. Als sie Wetzon sah, lächelte sie, ein Schatten ihres alten Lächelns, und kam langsam auf sie zu. Da sah Wetzon den Stock.
    »He, was ist das?« Wetzon beugte sich hinunter und umarmte Hazel, die plötzlich so zerbrechlich, sogar klein wirkte. Eine alte Frau. Wie konnte sich jemand in so kurzer Zeit so sehr verändern? Wetzon tadelte sich insgeheim, daß sie sich nicht mehr um sie gekümmert hatte. »Hoffentlich haben Sie nicht lange gewartet«, sagte sie, den Arm noch um Hazels schmale Schultern.
    »Nein, bin gerade vor einer Minute gekommen, und das«, sie zeigte mit einer behandschuhten Hand auf den Stock, »das ist bloß ein kleiner Anfall von Arthritis. Sie sehen wunderbar aus, wie immer, Leslie, und ich bin ausgehungert.«
    Sie ging mit mühsamen Schritten und stützte sich schwer auf den Stock. Wetzon folgte ihr grübelnd. Hazel hatte bestimmt in der ganzen Zeit, die sie sich nun kannten, nie etwas von Arthrids gesagt.
    Sie bestellten Käserisotto und Tremezzini: Schinken, Mozzarella und Tomaten auf kleinen italienischen Broten. Wetzon nippte an dem heißen Kaffee und setzte die Tasse ab. »Also dann, ich höre. Was ist los?«
    »Nichts, überhaupt nichts«, sagte Hazel, »außer daß ich bei dem kleinen Emilio einen großen Schritt weiter bin. Er fängt gerade an, für sich zu lesen. Aber erzählen Sie mir lieber, wie es bei Ihnen geht. Sie haben ein viel aufregenderes Leben. Bringen Sie mich auf den neuesten Stand.« Ihr Blick sagte: Ich sage Ihnen, wann ich bereit bin — und keine Minute früher.
    »Sie sind die widerspenstigste...«
    »Sagen Sie nicht alte Dame, weil...«
    »Okay, Sie haben gewonnen. Wie Sie wünschen.« Wetzon brach ein Stück von der knusprigen Brotstange ab und strich Butter darauf. »Ich bin auch hungrig. Dieses Wetter...«
    »Wie geht es Carlos?« unterbrach Hazel, gerade als ihr Essen kam. Sie fand Wetzons besten Freund sehr sympathisch. Als Wetzon Hazel zum letztenmal gesehen hatte, waren sie zum Abendessen in Carlos’ großer Dachwohnung im West Village eingeladen gewesen. Er hatte eine Bouillabaisse gekocht und eine herrliche Schokoladentorte gebacken, und sie hatten drei Flaschen Wein weggeputzt. Carlos hatte ihnen reichlich allerneusten Theaterklatsch aufgetischt, Wetzon hatte ihre letzten Maklergeschichten zum besten gegeben, und Hazel hatte wieder einmal die Peepsie-Geschichten erzählt, die keinen erkennbaren Sinn hatten, aber so lustig waren, daß alle drei vor Kichern und Lachen nicht mehr konnten.
    »Er ist sehr beschäftigt mit dem neuen Musical. Wir telefonieren, aber ich habe ihn seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen.«
    Sie aßen ungewohnt schweigsam und bestellten zum Nachtisch Schokoladensouffles.
    »Ich mache mir Sorgen wegen Peepsie Cunningham, Leslie«, begann Hazel unvermittelt, ohne Einleitung.
    Als junges Mädchen in Cleveland hatte Hazel es sich in den Kopf gesetzt, daß sie auf ein College im Osten gehen würde, und mit sechzehn war sie am Connecticut College für Frauen angenommen worden. Die Peepsies waren die Mädchen, mit denen sie zusammengewohnt hatte, sechs waren es mit ihr. Wie aus ihnen die Peepsies geworden waren, war eine verworrene Geschichte, und Hazel mußte beim Erzählen immer so sehr lachen, daß sie es nie bis zum Ende schaffte. Hazel war Peepsie Osborn für die anderen Peepsies. Jedenfalls waren beim letzten Erzählen noch vier Peepsies übrig: Peepsie Cunningham, eine wohlhabende Witwe, die in der oberen Fifth Avenue wohnte, Peepsie Webber, die mit ihrem
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