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Ruhe Sanft

Ruhe Sanft

Titel: Ruhe Sanft
Autoren: Annette Meyers
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ihn glatt. Er war aufgerissen und leer. Die Rückadresse war Bradley, Elsworth Securities, in deren Empfangsbereich sie stand. Der Umschlag war an Dr. Maxwell Mitosky, 601 East 72. Street, New York, New York 10021, adressiert. Wetzon legte ihn auf den Schreibtisch, und die Empfangsdame, die gerade am Telefon sprach, nickte ihr zu.
    Ein Mädchen in einem grünen Hemdblusenkleid aus Wildleder kam mit einem großen braunen Umschlag in der Hand in hochhackigen Schuhen über den Flur geklappert. »Ms. Watson? Mr. Kohn sagte, Sie möchten ihn anrufen, wenn Sie den Bericht gelesen haben. Dann informiert er Sie über die Zahlen.«
    Wetzon lächelte und nahm den Umschlag, der das Verzeichnis der Börsenmakler in Bobby Kohns Büro enthielt. »Vielen Dank.« Sie verstaute den braunen Umschlag in der Aktentasche. »Sagen Sie ihm, daß ich es schnell lese und mich dann bei ihm melde.« Er hatte ihr versprochen, neben jeden Namen auf der Liste Bemerkungen zu schreiben, der Gute.
    Sie zwängte sich in den Aufzug zu den Leuten, die zum Mittagessen fuhren, und stieg in der schwarzen Marmorhalle aus. Die meisten Büroangestellten und ziemlich viele Direktoren nahmen die Rolltreppe ins Untergeschoß, wo eine Caféteria alles von Salaten, Hamburgern und Pizzen bis zu den feinsten Delikatessen und frischem Fisch anbot. Für jeden etwas.
    Nur die Wertpapierhändler und die meisten Verkäufer aßen an ihren Schreibtischen. Da der Wertpapierhandel weltweit abgewickelt wurde, waren die Mittagspausen praktisch verschwunden. Die meisten Firmen waren sogar so weit gegangen, daß sie ihren Händlern gratis einen Gourmetimbiß liefern ließen, um sie an den Schreibtischen und Telefonen zu halten. Ein verpaßter richtiger Augenblick konnte für die Firma ein Minus von Millionen bedeuten. »Händlerfütterungsprogramm« wurde es genannt, Wetzon mußte dabei immer an Tiere im Zoo denken.
    Sie blieb am Zeitungsstand stehen, um die Schlagzeile in der Post zu lesen: Bush treibt Steuern in die Höhe. Soviel zu Wahlversprechen. Sie ging durch die Drehtür hinaus auf die grauen Marmorstufen, die auf die Wall Street führten.
    »Hallo, Donna Rhodes.« Sie erkannte die Frau, die eben in die Drehtür treten wollte, durch die Wetzon gerade herausgekommen war.
    »Wetzon! Tag.« Donnas männliche Züge schmolzen zu einem Lächeln.
    Donna Rhodes arbeitete bei einer kleinen Regionalfirma, die auf Kommunalobligationen spezialisiert war, obwohl Makler zur Zeit dank der neuen Steuergesetze nicht genug steuerfreie Papiere bekommen konnten, um die Aufträge von ungeduldigen Kunden auszuführen, die bei steuerfreien Dividenden anlegen wollen. Nicht einmal bei Merrill und Shearson mit ihren legendären Anleihebeständen.
    »Wie geht es Ihnen? Wie läuft das Geschäft?« Wetzon trat beiseite, um dem Fußgängerstrom auszuweichen, und Donna folgte ihr.
    »Na ja, okay, denke ich.« Die hellgelb getönte randlose Brille färbte ihre normalerweise bläßliche Haut golden im herbstlichen Sonnenschein, aber ihre Mundwinkel zeigten nach unten. Sie trug ihr volles braunes Haar kurz und hinter die Ohren gekämmt und an den Ohrläppchen Paloma Picassos silberne »Scribbles«.
    »Kommen Sie, was ist los?«
    »Was soll schon los sein? Ausgebrannt. Gelangweilt. Am Markt tut sich nichts. Nichts zu verkaufen. Ich überlege, ob ich nicht aus dem Verkauf aussteigen soll, ob ich vielleicht Portefeuillemanagerin oder so was werden soll... bei einer Bank...«
    Wetzon berührte das weiche, glänzende Leder von Donnas schwarzem Mantel. »Unterhalten wir uns bei einer Tasse Kaffee darüber. Ich kann’s nicht glauben, daß ich das von einer höre, die mir nach dem Crash sagte, daß sie das Geschäft liebt und nie davon lassen wird.«
    »Jetzt geht es nicht, Wetzon. Ich habe einen Termin mit einem Rentenkunden, aber ich rufe Sie an.«
    »Sie müssen mir versprechen, daß Sie nichts Voreiliges tun, bevor Sie mit mir gesprochen haben.«
    Donna lächelte und nickte. »Versprochen.« Sie winkte Wetzon zu und wollte gerade durch die Drehtür hineingehen, als die Tür sich heftig drehte und ein Mann in braunem Tweedanzug herausstürzte, überglücklich die Treppe hinuntersprang, zwei Stufen auf einmal, und im Laufschritt den Bürgersteig erreichte.
    Donna lächelte verwundert und winkte Wetzon noch einmal zu. Wetzon winkte zurück, dann folgte sie langsam dem Mann auf die Straße und beobachtete, wie er wie ein Mittelstürmer Haken um die Leute schlug. Er hatte einen Schirm unter dem Arm stecken, den
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