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Ruf der verlorenen Seelen

Ruf der verlorenen Seelen

Titel: Ruf der verlorenen Seelen
Autoren: Derting Kimberly
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anfühlen würde.
    Doch sie wusste, dass ihr Vater recht hatte, es war nur ein
Albtraum, nichts weiter. Er hatte nichts zu bedeuten.
    Außerdem hatte sie keine hellseherischen Fähigkeiten. Hellseher
konnten etwas richtig Nützliches, sie konnten die Zukunft
voraussagen. Sie sahen etwas, bevor es geschah.
    Mit Violets Gabe war es anders. Sie konnte nur Tote aufspüren.
Dann war das Unglück schon passiert.
    Es war eine lästige Gabe – die sie einmal hatte einsetzen
können, als zwei Mörder Jagd auf Mädchen in der Gegend gemacht
hatten. Natürlich hatte sie die Opfer nicht retten können.
Sie hatte nur geholfen, die Mörder aufzuspüren, damit sie
nicht noch mehr Mädchen töten konnten.
    Ja, vielleicht war sie etwas Besonderes, doch wenn sie die
Wahl hätte, wäre sie lieber Hellseherin. Oder, noch besser, einfach
normal. Aber leider hatte sie nie die Wahl gehabt.

    Chelsea kam nur eine halbe Stunde zu spät. Gar nicht schlecht
für ihre Verhältnisse.
    Sie hupte vor der Einfahrt, ein langes, aufdringliches Tuten.
Selbst Chelseas Auto war unausstehlich.
    Violet schaute ihre Mutter entschuldigend an, dann verschwand
sie zur Tür hinaus.
    Als Violet die Verandatreppe hinuntersprang, hupte Chelsea
ein zweites Mal.
    Â»Sehr freundlich, Chels. Stell dir vor, meine Eltern würden
noch schlafen!«, sagte Violet vorwurfsvoll, als sie sich in das
warme Auto setzte.
    Â»Nie im Leben! Dein Vater ist doch wie ein Bauer. Er ist der
Früh-ins-Bett-und-früh-hinaus-Typ. Und selbst deine Mutter
schläft wohl kaum länger als bis zehn, nicht mal am Samstag.«
Sie schaute Violet von der Seite an und zog die Augenbrauen
hoch. »Hab ich recht?«
    Â»Stimmt«, gab Violet zu. »Aber es hätte ja sein können.«
    Es war sinnlos weiterzureden, Chelsea drehte schon die Anlage
auf.
    Ende Januar war in Seattle keine Touristensaison, schon gar
nicht im Hafenviertel. Im Sommer hingegen war auf den Landungsbrücken
immer die Hölle los: einkaufende Leute, Touristen,
Straßenkonzerte, Kleinkünstler, rappelvolle Restaurants.
Auch jetzt wirkte die Stadt belebt, aber die Menschen unter
den tief hängenden grauen Wolken schienen bleiern zu sein, sie
waren in ihre warmen Wintermäntel gehüllt und hielten ihre
Regenschirme fest umklammert.
    Chelsea war von dem Wetter und der gedämpften Atmosphäre
völlig unbeeindruckt. »Lass uns mit einer Fähre auf die
Inseln fahren«, bat sie atemlos.
    Violet grinste. »Na gut. Welche sollen wir nehmen?«
    Violet erinnerte sich daran, wie sie als kleines Kind mit ihren
Eltern mit der Fähre gefahren war. Sie hatte heißen Kakao am
Getränkestand bekommen und sich an die Reling gekauert und aufgeregt die rauen schwarzen Wellen im Puget Sound beobachtet.
    Chelsea hüpfte auf der Stelle, sie sah ganz begeistert aus, gar
nicht so abgebrüht wie sonst. »Lass uns einfach die erste nehmen,
die wir erwischen!«
    Violet lachte. Das war der Grund, weshalb sie so gern mit
Chelsea allein etwas unternahm. Wenn keiner dabei war, war
sie ganz anders.
    Laut Fahrplan sollte in etwas über einer Stunde eine Insel angefahren
werden. Sie kauften Fahrkarten und bummelten über
die Landungsbrücken.
    Bei einem Souvenirladen mit verschiedenen Grusel-Accessoires
blieben sie stehen. Chelsea kaufte eine Kette mit einem
ekligen Schrumpfkopf als Anhänger. Bevor sie gingen, ließen
sie sich noch von dem Verkäufer vor einem versteinerten
Schwein fotografieren.
    Als sie wieder draußen waren, fing es an zu nieseln, und Violet
setzte ihre Kapuze auf.
    Erst nahm sie das leise Beben wahr, dann das Geräusch.
    Auf den unverkennbaren Schauer unter der Haut folgte das
drängende Gefühl, gerufen zu werden, als würde jemand bis in
ihr Innerstes langen und an ihr zerren. Es ließ sich nicht ignorieren,
und Violet wusste, was es bedeutete.
    Ein totes Wesen rief sie.
    Die Geräusche, die auf die Schwingungen folgten, passten
überhaupt nicht zu der winterlichen Umgebung am Meer.
    Im Sommer hätten sich die Klänge vielleicht zwischen den
Straßenkünstlern auf den Landungsbrücken verstecken können.
Jetzt aber, mitten im Winter, stach die Engelsmusik der
Harfe heraus. Die wispernden Klänge hätten etwas Beruhigen des haben können, würden sie nicht von einem Toten ausgehen
… Mensch oder Tier. Violet hoffte Letzteres.
    Â»Wo willst du hin?«, fragte Chelsea und riss
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