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Ruf der Geister (German Edition)

Ruf der Geister (German Edition)

Titel: Ruf der Geister (German Edition)
Autoren: Tanja Bern
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Julian kam gestern nicht zu der WG. Bevor du ins Büro kommst, schau nach ihm. Danke.
    Joshua seufzte. Die Wohngemeinschaft wäre perfekt für Julian gewesen. Warum musste der Junge nur so stur sein? Er hoffte, dass er ihn nicht wieder auf dem Strich fand, würde aber dennoch zuerst dort nach ihm suchen. Julian nahm zwar keine Drogen, doch er weigerte sich, Hilfe anzunehmen.
    Kurze Zeit danach fuhr Joshua die Hauptstraße in Ric htung Herten entlang und bog in einen kleinen Waldparkplatz ein, doch Julian war nicht da. Abends würde er ihn sicher dort finden. Jetzt vermutete er ihn in seinem Lieblingsversteck. Er nahm eine Decke aus dem Kofferraum, schloss sein Auto ab und marschierte in den Resser Wald.
    Vor einer abgesperrten Halde hielt er. Seit einigen Jahren versuchte man verstärkt, das Ruhrgebiet wieder grüner zu gestalten. Die alten Steinhalden der Zechen wurden mit Mutterboden aufgestockt und bepflanzt. Diese hier war schon mit Gras bewachsen. Julian saß auf einem Vorsprung und schaute auf die Felder, die sich vor ihm ausbreiteten.
    Joshua kletterte über den niedrigen Metallzaun und stieg die Anhöhe hinauf.
    „War ja klar, dass du mich findest“, begrüßte ihn J ulian.
    „Allzu schwer war es nicht“, antwortete Joshua schmunzelnd. „Was ist mit deinem Gesicht passiert?“
    Julian wandte den Kopf zur Seite. „Nichts …“
    Das rechte Auge des Jungen war bläulich verfärbt und an der Lippe war eine Verletzung zu erkennen.
    Joshua legte die Decke um Julian. „Ist verdammt kalt, was?“
    „Mmh.“ Der Junge nahm seine Gabe gerne an und kuschelte sich tief in die warme Wolldecke.
    „Hast du schon gegessen?“
    Julian schüttelte den Kopf und Joshua holte einen Schokoriegel aus seiner Jackentasche. „Ich hoffe, er ist nicht eingefroren.“
    Julian lachte kläglich und nahm die Süßigkeit. „Und wenn, isʼ egal.“ Mit zitternden Fingern zerriss er das Papier und biss gierig in den Riegel.
    „Josh?“
    “Ja?“
    „Findest … findest du es schlimm, dass ich … na ja … dass ich schwul bin?“
    „Nein, warum sollte ich?“
    „Manchmal hab ich Angst, dass dir das unangenehm ist.“
    Tröstend legte Joshua einen Arm um den Jungen. „Klar, und weil es mir so unangenehm ist, sitz ich hier neben dir und frier mir den Hintern ab.“
    Julian grinste. „Ich sag dir, dein Hintern ist nicht von schlechten Eltern.“
    „Und ich dachte schon, keinem würde das je auffallen“, sagte Joshua amüsiert.
    Mit einem leisen Schniefen wischte sich Julian mit dem Ärmel über die Nase. „Das mit dem Gesicht war so’n Scheißkerl, der wusste, dass ich schwul bin. Der ist ei nfach auf mich los!“
    „Bist du deshalb nicht zu der WG gegangen?“
    „Mmh.“
    Joshua stand auf. „Komm, wir gehen bei McDonalds frühstücken. Mir ist hier echt zu kalt.“
    „Okay.“
    Sie kletterten die Halde hinunter , stiegen über den Zaun und liefen eilig zum Wagen. Julian seufzte, als die Autoheizung warme Luft zu ihm blies.
    „Wo schläfst du zurzeit, Jul?“
    Der Junge zuckte mit den Schultern. „Mal hier, mal dort.“
    „Und das heißt?“
    „Och Mann, Joshua! Du kannst einen so löchern!“
    „Ich weiß, ist ’ne schlechte Angewohnheit von mir.“
    „Gestern hab ich mich in den Bahnhof gemogelt. Hab mir ein schönes Versteck gesucht.“
    Das hatte Joshua befürchtet . Hätten die Sicherheitsleute ihn erwischt, wäre er draußen vielleicht erfroren. Manche Wachleute waren bei Minusgraden gnädig, andere …
    „Willst du ein paar Tage mit zu mir kommen?“
    Julian schüttelte den Kopf. „Das darfst du doch wahrscheinlich sowieso nicht.“
    „Mir wäre das lieber, als dich erfroren auf ’ner Par kbank zu finden.“
    „Josh … lass uns was essen, ja? “
    „Okay.“ Man konnte Julian zu gar nichts drängen. Tat man es doch, verlor man ihn.
    Später saßen sie in dem Schnellrestaurant und Joshua sah zu, wie Julian das Frühstück in sich hineinschlang. Er selbst trank nur Kaffee.
    „Was ist mit der WG, Jul?“
    Verlegen kratzte sich Julian am Kopf und sah auf. „Die woll’n doch sowieso keinen Schwulen.“
    „Unsinn! Ich hab das doch mit dir besprochen. Das sind zwei Mädels, die sich freuen, einen Mann ins Haus zu bekommen, der ihnen nicht an die Wäsche will.“
    Julian verschluckte sich fast an seinem Croissant. Er hustete und lachte dann laut auf.
    „Ich überleg’s mir, Josh.“
     
    *
     
    Joshua hängte Schal und Mantel an den Kleiderhaken und schlenderte zu Hannah in ihr gemeinsames
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