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Ruf der Geister (German Edition)

Ruf der Geister (German Edition)

Titel: Ruf der Geister (German Edition)
Autoren: Tanja Bern
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blitzten ihre letzten Erinnerungen durch ihn. Er zuckte zusammen. Das Bild des Mannes, der sich über sie beugte und ihr das Messer an die Kehle setzte, brannte sich in seine Gedanken. Als er ihren Schmerz spürte, wich er mit einem Schrei zurück.
    „Geh!“, zischte er.
    Hilf mir!, schrie sie verzweifelt in seine Gedanken.
    Doch Joshua war nicht Melinda Gordon aus der Fer nsehserie Ghost Whisperer . „Ich … ich kann nicht.“
    Er sah, wie jemand neben der Frau erschien. Eine G estalt, deren Gesicht er nicht ausmachen konnte. Dann war sie fort.
    „Josh? – Himmel, Joshua!“
    Wie angewurzelt stand Joshua da und hielt sich die Kehle. Er blinzelte und bemerkte den besorgten Blick des Kommissars.
    „Ich muss wohl nicht fragen, ob du sie gesehen hast?“
    Joshua war übel, er musste aus diesem Bahnhof raus! „Erich … ich muss hier weg! Ich hab gesehen, wie er aussieht, ich … ich zeichne es dir auf, wie immer, ja?“
    Das Gesicht des Kommissars war von tiefer Sorge gezeichnet. „In Ordnung. Tut mir leid, dass ich dich da rei ngezogen hab.“
    Joshua winkte ab und flüchtete aus dem Bahnhof. Er blieb eine Weile in seinem Wagen sitzen, um sich zu b eruhigen. Mit beiden Händen fuhr er sich über das Gesicht, nahm einen Kaugummi und schaltete das Radio ein.
    Sieh ʼ die Sonne sinken, sinken hinterm Haus. Dunkle Schatten trinken das Licht des Tages aus.
    „Oh Mann, heute verfolgst du mich“, murmelte er und starrte auf das Radio, das seine n Handysong spielte. Er schaltete das Lied nicht weg, denn es passte zu seiner momentanen Stimmung.
    Zurück in seiner Wohnung konnte er nicht anders und griff zu Block und Bleistift. Er hatte Zeichnen nie gelernt, konnte es trotzdem recht gut, auch wenn sich sein Talent auf Porträts beschränkte. Instinktiv ließ er im Hintergrund erneut Ria Schenks Lied abspielen. Am liebsten hätte er sich ein großes Glas Wein eingegossen, doch er musste in einer Stunde im Büro sein. Also versuchte er, das Bild des Mörders ohne Alkohol heraufzubeschwören. Ihm lief ein Schauer über die Haut, als er sich in die Erinnerung fallen ließ und das Messer, das der Frau die Kehle aufgeschlitzt hatte, plötzlich an seiner eigenen Kehle spürte. Er wischte das Gefühl fort und griff nach seinem Stift. Mit sicheren Handgriffen zeichnete Joshua das Gesicht des Mannes und fürchtete sich hinterher selbst vor dessen grausamen Ausdruck. Rasch scannte er das Blatt ein und schickte Erich die Zeichnung per Mail. Das Original trug er in die Küche, hielt es über den Spülstein und zündete es an.
    Insgeheim dachte er, dass man den Mann genauso brennen lassen sollte, gleichzeitig erschrak er über seine Gedanken. Joshua starrte auf das züngelnde Blatt. Er hatte den Mörder auf Papier gebannt und nun besaß er die Macht, ihn zu vernichten – wenigstens auf diese Art.
    Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er keine Zeit mehr für ein Frühstück hatte. Rasch zündete er sich eine Zigarette an, um seine zerrütteten Nerven zu beruhigen. Er rauchte nicht regelmäßig, aber in diesem Moment brauchte er das Nikotin. Alles andere musste warten.

IM AUGE DES TODES
     
    Zwei Tage später stand Joshua mit seinem besten Freund Mark am Grab von dessen Mutter. Er wagte kaum etwas zu sagen, denn Mark schien für den Moment gebrochen zu sein. Es flossen keine Tränen, aber er sah es an dem Ausdruck seines Freundes. Dessen Schwester Nadja, elegant wie immer, stand in einiger Entfernung und starrte eher gelangweilt auf die Bäume des Friedhofes. Joshua begleitete Mark, als er das letzte Mal auf den Sarg seiner Mutter sah.
    Nadja warf ein paar Rosen ins Grab und wandte sich dann ab. Sie schien genervt zu sein. Ihr Bruder sah sie für einen Augenblick ärgerlich an.
    „Dieser scheiß Krebs!“, zischte er Joshua zu. „Und Nadja hat ihr das Leben zusätzlich zur Hölle gemacht.“
    Mark fuhr sich durch das blonde Haar, das heute gegen seine Gewohnheit nicht modern mit Gel frisiert war, so ndern locker um sein Gesicht fiel, was ihn sehr viel jünger erscheinen ließ. Als Joshua sah, wie sein Freund begann, nervös an seiner Jacke zu nesteln, ergriff er ihn am Arm, zog ihn fort.
    „Komm, wir fahren zum Restaurant. Sollen wir deinen Vater mitnehmen?“
    Mark schüttelte den Kopf. „Der fährt mit Nadja.“
    Die beiden Stunden im Restaurant, wo das Kaffeetri nken nach der Beerdigung stattfand, waren eine frostige Angelegenheit. Nadja unterhielt sich angeregt mit einigen Leuten und brüstete sich mit ihrem Job als
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