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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur
Autoren: Michael Theurillat
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Ende bat ihn der Mann vom SND für eine kurze Unterredung nach Bern zu kommen.
    »Am besten gleich heute Nachmittag.«
    Es war der 5. Oktober, sein erster Arbeitstag als neuer alter Chef der Kripo. Seit über einer Woche waren Corina und ­Kathrin wieder zu Hause. Den frischerstandenen Pflanzen auf seiner Terrasse ging es blendend, sogar der lädierte Ahorn hatte zum Herbst ein paar neue Knospen hervorgebracht.
    Eine halbe Stunde zuvor hatte Christian angerufen, ihm alles Gute für den Wiedereinstieg gewünscht; die Blumen auf dem Tisch, die ihm Rosa geschickt hatte, strahlten ihn an wie das blühende Leben.
    Fünf Stunden später saß Eschenbach gegenüber dem Bundeshaus im Hotel Schweizerhof in der Lounge. Weil man auch dort nicht mehr rauchen durfte, kaute er Nüsse. Zuerst hatte der Kellner Salzmandeln gebracht. Als der Kommissar mit diesen fertig gewesen war, waren Schalen mit Pistazienkernen und ­Cashewnüssen an seinen Tisch gebracht worden. Dazu hatte er zwei Gläser gespritzten Weißwein getrunken.
    Nun brannte sein Magen.
    Paul Zimmer kam um halb drei.
    »Und, wie ist es gelaufen?«, fragte der Kommissar gleich zu Beginn.
    Die beiden Männer kannten sich seit über zwanzig Jahren. Mehr als ein Dutzend Mal hatten sie beruflich miteinander zu tun, weil es Fälle gab, die über die Zürcher Kantonsgrenzen hin­ausgingen und für die Sicherheit der Schweiz von Bedeutung waren. Wenn sie sich in Sitzungsräumen begegnet waren, hatten sie nie über Privates gesprochen. Nie über sich selbst. Immer war es die Sache gewesen, die im Vordergrund gestanden hatte. So auch heute, obwohl sie sich noch nie in einer Hotelhalle getroffen hatten. Und es war auch das erste Mal, dass ein Gespräch zwischen ihnen nicht in einem Protokoll festgehalten wurde.
    »Es ist so, wie ich es dir angedeutet habe«, sagte Zimmer. »Ich hab den Film gesehen, gerade eben. Wir lassen die Sache, wie sie ist.«
    Eschenbach nickte zufrieden.
    Zimmer rief den Kellner herbei und bestellte einen Laphroaig. Danach fragte er:
    »Wie bist du überhaupt darauf gekommen, dass es der Bruder gewesen ist? Du hast die Aufzeichnungen ja nicht gesehen.«
    »Es war nur so eine Vermutung«, sagte Eschenbach. »John McLaughlin ist Arzt und ziemlich spät erst ins Klosterleben eingetreten. Wie man mir sagte, war er einiges über dreißig gewesen. Das ist ungewöhnlich. Ich habe mich gefragt, warum? Was bringt einen Mann wie McLaughlin nach Einsiedeln? John hat mir dazu nie eine befriedigende Antwort gegeben. Auch das fand ich seltsam. Darum habe ich letzte Woche den Abt getroffen. Wir haben uns lange über Bruder John unterhalten.«
    »Arzt also?«
    »Chirurg«, präzisierte Eschenbach. »Assistenzprofessor für Neurochirurgie am Royal College of Surgeons in Edinburgh. Ich hab mit denen telefoniert … Die konnten sich noch gut an den Fall erinnern.«
    Der Kellner brachte den Laphroaig.
    »Dem ist seine Tochter gestorben, Paul«, fuhr Eschenbach fort. »Auf dem Operationstisch. Mit vier Jahren, als sie wegen eines Hirntumors operiert wurde. John hatte die Operation nicht selbst vorgenommen … Ist ja auch normal. Aber dann hat er sich deswegen Vorwürfe gemacht.«
    »O Gott!«
    »Das kannst du laut sagen. Denn nach diesem Unfall war nichts mehr so wie vorher. Er beginnt zu trinken, seine Frau trennt sich von ihm … John verliert den Boden unter den Füßen.«
    »Dann war Judith eine Art Tochterersatz für ihn«, bemerkte Zimmer.
    »Ich denke schon.« Eschenbach fuhr sich übers Kinn. Er hatte vor zwei Tagen seinen Bart abrasiert. Nun fühlte es sich ganz ungewöhnlich an. »Seine Fürsorge Judith gegenüber … Es war wie eine zweite Chance. Wiedergutmachung, etwas in der Art. Drum habe ich angenommen, dass er alles unternommen hat, um sie da rauszuboxen.«
    »Rauszuschießen«, bemerkte Zimmer.
    »Von mir aus.«
    »Ohne Erfolg, letzten Endes.«
    Eschenbach zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, Paul. Vielleicht macht es doch einen Unterschied, ob man es wenigs­tens probiert – oder einfach nur tatenlos danebensteht.«
    »Möglich.«
    Eschenbach erzählte von dem Gespräch, das er mit Salvisberg geführt hatte. »Es wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Man muss schon ziemlich genau wissen, wie das geht. Einen Schuss durch den Hals, sodass vorne der Kehlkopf zerstört wird … und das noch, ohne eine der Halsarterien zu verletzen. Ich meine, die beim Gerichtsmedizinischen sind ja auch keine Idioten. Das ist nicht so einfach.«
    »Ich seh’s«,
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