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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur
Autoren: Michael Theurillat
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später Banz nicht zuordnen konnten«, ergänzte Hösli.
    Der Film lief weiter. Er zeigte einen lachenden Bankier, dessen Gesicht nun ganz der Kamera zugewandt war. Judith ging an ihm vorbei, da packte er sie erneut.
    »Stopp«, sagte Horlacher. »Seine linke Hand ist nun an ihrem Hals … die rechte zwischen ihren Schenkeln. Man sieht’s wieder sehr schlecht.«
    »Einfach durchlaufen lassen«, brummte Zimmer. »Sie können Ihre Kommentare später immer noch loswerden.«
    Banz zieht die junge Frau zu sich, nimmt auf der Tischkante Platz. Gesicht und Körper sind nun teilweise durch Judith verdeckt.
    »Hier küsst oder beißt er sie«, murmelte Horlacher, ohne den Film anzuhalten.
    Ungefähr zehn Sekunden verharrt das ungleiche Paar in dieser Stellung. Dann plötzlich gleitet der massige Oberkörper des Bankiers hintenüber auf die Tischplatte. Doch Judith lässt nicht von ihm ab. Als wäre ihr Körper an jenem von Banz festgemacht, vollzieht sie dieselbe Bewegung und bleibt auf ihm liegen. Eine Weile vergeht. Hie und da bewegt sich ganz leicht ein Bein oder Arm.
    »Und jetzt?«, erkundigt sich Zimmer.
    »Der Film läuft noch, so wie Sie es angeordnet haben«, sagte Horlacher etwas verunsichert.
    »Das geht jetzt ungefähr drei Minuten«, meldete sich Hösli.
    »Drei fünfundzwanzig«, sagte Horlacher.
    »Dann springen Sie nach vorne«, befahl Zimmer.
    Fünf Sekunden später:
    Langsam beginnt sich der zierliche Frauenkörper aus der Um­armung zu lösen. Etwas schwankend, mit dem Rücken zur Kamera tritt Judith zurück. Zwei Schritte. Sie wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab. Dann bewegt sie ihren Kopf hin und her, massiert mit beiden Händen ihr Genick. Banz liegt wie ein niedergestreckter Bär auf der Tischplatte.
    »Zu diesem Zeitpunkt ist der Mann vermutlich bereits tot«, bemerkte Hösli. »Denn auch bei starker Vergrößerung konnten wir nicht die geringste Bewegung seines Brustkorbs erkennen.«
    »Und das Mädchen?«
    »Sie telefoniert kurz mit ihrem Handy. Leider so, dass wir ihr Gesicht dabei nicht sehen können. Danach nimmt sie den Laptop und verlässt den Raum.«
    »Weiß sie, dass es diese Kamera gibt?«
    »Gute Frage, Paul.« Hösli seufzte. »Sie bewegt sich so, dass ihr Gesicht meist von der Kamera abgewandt ist. Allerdings ergibt sich das, weil der Bankier auf der anderen Seite steht.«
    »Es gibt ein paar Einstellungen, in denen ihr Gesicht deutlich zu erkennen ist«, meldete sich Horlacher.
    »Identifikation ist kein Problem … eindeutig positiv.« Hösli nickte.
    »Ja, ja …« Zimmer schnaufte hörbar. »Das ist nicht das, was ich wissen will. Mich interessiert, ob sie von der Existenz dieser Aufnahme wusste.«
    Die beiden anderen Männer schwiegen.
    »Also gut. Wie ich sehe, sind die interessanten Fragen ungeklärt.«
    »Nicht ganz«, warf Hösli ein. »Zugegeben … es hat uns saumäßig viel Zeit gekostet, bis wir herausgefunden haben, was in diesen Minuten wirklich passiert ist.« Der Polizist blickte zu Horlacher. »Zeigen Sie doch bitte mal die Vergrößerungen, die wir angefertigt haben.«
    Auf der Leinwand erschien ein Bild von Judith. Ein grobkörniges Porträt. Es zeigte die junge Frau seitlich, in leicht vorn­übergebeugter Haltung.
    »Sehen Sie das Amulett?« Hösli blickte in Zimmers Richtung.
    Der rote Punkt eines Laserpointers markierte die Stelle auf der Leinwand.
    »Ein Keltenkreuz, so groß wie eine Untertasse. Ungefähr hundert Gramm schwer, eine Messing-Silber-Legierung. Wir haben den Anhänger untersucht, als sie bei uns in U-Haft war.«
    »Und?«
    »Wir denken, dass sie damit dem Bankier den Kehlkopf eingedrückt hat.«
    »Eingedrückt … den Kehlkopf.« Zimmer wiederholte die Worte so langsam, dass weder Horlacher noch Hösli klar war, ob sie als Frage oder lediglich als Bemerkung gemeint waren.
    »Banz ist erstickt«, fuhr Hösli fort. »Es ist die einzige, einigermaßen plausible Erklärung, die wir haben. Aber ich denke, wir sollten uns die finale Sequenz auf dem Video ansehen. Sie untermauert meine Hypothese.«
    Eine Pause entstand; jemand räusperte sich.
    »Also gut«, sagte Zimmer. Dann erschien auf der Leinwand die letzte Bildfolge:
    Die Bürotür öffnet sich langsam. Von links, mit leicht zögernden, kleinen Schritten, erscheint ein Mann in einer Mönchskutte. Korpulent, von kurzem Körperwuchs. Er sieht sich im Zimmer um. Für einen kurzen Moment ist sein Gesicht zu erkennen. Er trägt eine kleine Brille mit kreisrunden Gläsern. Vorsichtig nähert
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