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Rücksichtslos

Rücksichtslos

Titel: Rücksichtslos
Autoren: Kirsten Slottke
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sich zu ihr umdrehte.
    „ Und?“, fragte sie kurz.
    „ Sie ist seit mindestens achtundvierzig Stunden tot. Die Leichen starre hat sich schon wieder völlig gelöst. Ich glaube allerdings nicht, dass sie sich so lange im Wasser befunden hat. Die Haut ist kaum durchweicht. Sie muss eine ganze Weile nach ihrem Tod auf dem Bauch gelegen haben, da die Leichenflecken dort wesentlich ausgeprägter sind. Zudem wurde der Strick, mit dem sie an dem Baumstamm festge bunden war, erst einige Zeit nach ihrem Tod angebracht.“
    „ Wie kommen Sie darauf?“
    „ Die Leichenflecken sind auch an dieser Stelle durchgehend. Sie wurden durch das Seil nicht weggedrückt.“
    Pohl stand auf und zog seine Latexhandschuhe aus. Er blickte sie ernst an und schob seine Nickelbrille nach oben.
    „ Da sie sich unmöglich selbst angebunden haben kann, handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um Mord. Zum Tode führende Verletzungen konnte ich bislang keine erkennen. Mehr dazu kann ich Ihnen nach der Obduktion sagen.“
    „ Gut. Wir kommen nachher im Institut vorbei“, sagte Thomas.
    Pohl nickte ihnen zum Abschied zu, drehte sich um und ging. Kurz, bündig und präzise. Wie immer.
    Thomas und Katharina warteten, bis die Leiche abtrans portiert wurde. Nachdenklich blickten sie dem Leichenwagen des rechts medizinischen Instituts hinterher, bevor sie sich die Umgebung näher ansahen. Die Kollegen der Polizei hatten bereits begonnen, beide Mainufer zu untersuchen. Vielleicht fanden sie irgendwo Schleifspuren, die von dem Baumstamm herrührten.
    Schrecklich! Dass ein junges L eben so fürchterlich enden musste. Schweigend gingen sie an der Schleuse entlang in Richtung der blauen Fußgängerbrücke. Der Regen wehte ihnen in feinen Tropfen ins Gesicht, sodass sie ständig blinzeln mussten. Zielstrebig ging Katharina die Stufen hoch auf die Brücke und Thomas folgte ihr. Von oben hatten sie einen Überblick über das gesamte Schleusenareal. Das rote Schleusenwärterhaus stand mittlerweile leer. Die komplette Anlage wurde seit einiger Zeit aus Kostheim ferngesteuert. Ihre Schritte klangen seltsam dumpf auf dem Stahl gitterboden der Brücke. Die Unterarme auf das Stahlgeländer gestützt ließ Katharina ihren Blick über den Main und die angrenzenden Ufer wandern. Auf der Griesheimer Seite konnte sie die Polizeibeamten beobachten, wie sie in einem breiten Saum Böschung, Sträucher, Wiesen und Zufahrtswege absuchten.
    „ Ich bin gespannt, ob sie was finden“, murmelte Katharina.
    „ Und was Pohl findet“, ergänzte Thomas.
    Sie blickte kurz zu ihm auf. Seine Haare waren feucht und seine Ohren vom kalten Wind, der kontinuierlich aus Nord-Osten blies, gerötet. Einzelne Strähnen ihres langen Haares lösten sich aus dem Zopf und flatterten ihr ins Gesicht. Trotz der warmen Jacke bemerkte sie, wie sich die feuchte Kälte ihren Weg darunter bahnte, weshalb sie sich abrupt von dem Geländer abstieß.
    „ Gehen wir. Es ist lausig kalt“, meinte sie. So rasch sie auf dem nassen Rost laufen konnten, legten sie den Weg zum Auto zurück und ließen sich dort in die Sitze fallen. Thomas wischte sich kurz mit den Händen den Regen aus dem Gesicht, startete den Motor des Passats und fuhr los. Katharina blies warme Atemluft in ihre geröteten Hände.
    „ Wenn wir im Büro sind, brauche ich erst einmal einen heißen Kaffee. Danach stürzen wir uns auf die Vermisstenfälle und statten anschließend Pohl einen Besuch ab.“
    „ Klingt gut“, sagte Thomas und drehte den Temperaturregler in den roten Bereich. Leider strömte noch keine warme Luft ins Auto, wie Katharina bedauernd feststellte.
     
    Am frühen Nachmittag parkten sie vor dem rechtsmedizinischen Institut. Die Architektur der Jugendstil villa gefiel Katharina unheimlich gut. Sie liebte diese Bauweise mit den hohen, teilweise bogenförmigen Fenstern. Das zweigeschossige Gebäude war in einem dezenten altrosa farbenen Ton gestrichen, wobei die Fenster und einzelne Bauteile weiß umrahmt waren. So gern sie das Haus be trachtete, so ungern betrat sie es.
    „ Bringen wir es hinter uns“, meinte Thomas und öffnete die Eingangstür.
    Katharina folgte ihm und fühlte sich sofort, als würde das Gebäude sie verschlucken. Als würde sie eine andere Welt betreten. Die der Rechtsmediziner. Sie bewunderte deren Arbeit, und es faszinierte sie ungemein, was die Toten nach ihrem Tod alles verrieten. Seit sie bei der Mordkommission arbeitete, hatte sie schon sehr viele Leichen in den unterschiedlichsten
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