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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig
Autoren: Jörg Juretzka
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filzen, so dass ich nur einen Klettverschluss an meinem rechten Oberschenkel aufzippen musste, und ich hatte ein kleines Teppichmesser in den Fingern. Ich schob die Klinge raus und führte sie, Schneide weggedreht von der Haut, direkt vor meinem rechten Ohr unter die Folie und trennte sie bis nach oben durch. Dann schnitt ich Leyla frei, erst am Kopf, dann an den Händen.
    In der kompletten Finsternis tastete sie nach mir, griff meine Arme, lehnte ihren Kopf an meine Schulter, bohrte mir eine ihrer spraygehärteten Haarzacken ins Auge und schluchzte und schluchzte. „Er hat mich verhaftet“, sagte sie, wieder und wieder, als wäre das gegen die Spielregeln, jemanden erst offiziell zu verhaften und dann zu ermorden. Sie wiederholte es, bis ich ihr einen Finger auf die Lippen legte. Da kamen Schritte näher, draußen auf dem Gang.
    Vorsichtig machte ich mich von Leyla los. Zittrig stellte ich mich auf meine Füße, tastete mich zur Tür, fummelte den Schraubenzieher aus der Zollstocktasche des Overalls, packte ihn, bereit, blindlings zuzustechen, sollte noch mal jemand seinen Kopf zur Tür hereinstecken, bereit, zu töten. Doch die Schritte hasteten vorbei, eine schwere Tür fiel ins Schloss, komplette Stille folgte. Grabesstille.
    Doch es war noch nicht vorbei. Dazu hätte ich tot sein müssen. War ich aber nicht.
    Mit jedem Atemzug kroch das Leben zurück unter meine Pelle, das Gefühl. Schmerz. Scham. Hass. Ich lehnte mich gegen die Tür. Sie gab nach. Ich stemmte mich dagegen. Sie schwang auf. Leyla ertastete meine Hand und hielt sie, und zusammen traten wir von einer vollständigen Finsternis in die nächste. Na ja. Bis ich meine Taschenlampe rausholte und anknipste. Nach links ging es Richtung Eingangstür, Treppenaufgang, Aufzug. Nein, entschied ich. Selbst wenn sie den Zugang nicht verschlossen hatten, sah ich keine Möglichkeit, den Aufzug ohne Schlüssel zu rufen. Und selbst wenn, sah ich mich nicht in die Kabine steigen, ohne zu wissen, wer oder was mich oben erwartete. Deshalb ließ ich den Lampenstrahl über die Wände tanzen, bis er das erfasste, was ich suchte: ein in Weiß auf Grün gehaltenes Symbol einer fliehenden Gestalt, verfolgt von symbolisierten Flammen und gefasst in der Form eines Pfeils. Er zeigte nach rechts. „Wir probieren den Notausgang, okay?“, nuschelte ich, und wir zogen los, Hand in Hand wie Hansel und Gretel im dunklen, dunklen Wald.
    Die Stahltür war mit Klemmriegeln verschlossen, wie ein Schott in einem Schiff. Bisschen rostig, vor allem die Scharniere, doch zusammen bekamen wir die Riegel gelöst und die Tür aufgezogen. Treppen folgten, zweimal gewendelt, dann ein massiver Deckel, unverriegelt, einfach nur aufgelegt.
    Das Tor zur Freiheit. Es war zu schön, um wahr zu sein. Ich ersetzte die Taschenlampe wieder durch den Schraubenzieher, meine einzige Waffe, und bedeutete Leyla, einen Schritt Abstand zu nehmen. Dann stemmte ich Nacken und Schulter unter das Stahlblech und drückte den Deckel hoch. Schnee und Laub rieselten mir ins Genick, kalte, frische Parkluft strömte durch den Spalt. Und das war alles. Kein Licht ging an, keine Sirene heulte, niemand nahm mich unter Feuer. Das einzige Geräusch, das meine Ohren erreichte, war das eines anspringenden Motors. Eines Achtzylinders. Reiffs Audi Q7.
    Blut schoss durch meine Adern, Hitze packte mich. Es war noch nicht vorbei. Noch längst nicht. Der Q7 setzte zurück, seine Bremslichter leuchteten auf, die Rückfahrscheinwerfer verlöschten, das Fernlicht bestrich den Park. Selbst auf die Distanz war zu erkennen, dass der Wagen voll besetzt war. Er beschleunigte auf das Tor zu, die Flügel schwangen auf. Doch da rannten Leyla und ich schon quer über den verschneiten Rasen, auf den Felsen zu, auf eine Stelle rechts davon, zum Zaun.
    Der Audi brummte in die Nacht, hügelan zum Flughafen, außer Sicht.
    Wir erreichten den Zaun, gleißendes Licht sprang an, Leyla stieg in die Ornamente und schwang sich behände über die in Gold gehaltenen Spitzen. Ich kraxelte um einiges uneleganter hinterher, schaffte es dann aber mit viel Glück auf die andere Seite und zu Boden, ohne mir unterwegs den Overall vom Arsch bis zum Kragen aufzureißen.
    Ein paar lange Schritte noch, und wir waren beim Toyota. Und drin.
    „Du musst nicht mit“, keuchte ich, doch Leyla deutete nur mit dem Kinn auf das Quad, das auf uns zugehoppelt kam. Damit war das entschieden. Die vier Vergaser erwachten schnorchelnd und willig. Schnee stob von den Hinterrädern,
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