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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub
Autoren: Paul J. McAuley
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habe
nicht die Absicht, hierzubleiben und mir das anzusehen.« Miriam
war bereits eingestiegen; der ›King of the Cats‹ legte
einen Arm um sie. Zu seinen Füßen stand eine Kiste
gekühlten Thunderbird-Weins. Jetzt trug er eine Jacke mit
Schachbrettmuster, rosafarbenes Hemd, schwarze Jeans und blaue
Wildlederschuhe. »Ja«, sagte er gedehnt, »ich
weiß, ich bin so was wie instabil. Die lausigen Codes in diesem
Raum übersetzen nicht allzu gut. Ich hatte ’ne
höllische Zeit, hier rüberzukommen.« Er holte eine
Flasche hervor und drückte den Korken mit einem lässigen
Schnippser seines Daumens heraus. In der anderen Hand hielt er
mehrere Gläser. »Nur ein bißchen weiter die
Straße runter. Hier ist nichts mehr für dich zu tun
übrig, Junge.«
    Lee spürte den Chip, den er verschluckt hatte. Er glühte
in seiner Brust wie ein Neonherz. Es war leicht, ihn
herauszupflücken. Er schüttelte Blut und Wasser ab,
zerbrach ihn in zwei Hälften und hatte zwei identische Chips,
einen ganzen Chip in jeder Hand. Er zerbrach sie erneut und hatte
vier.
    Der ›King of the Cats‹ sagte: »Viel zu spät
für Tricks, Junge.«
    Lee hatte acht Chips, sechzehn, zweiunddreißig. Sie bildeten
glänzende Stapel in seiner Hand.
    »Jetzt hör auf«, sagte der King. »Dies ist
wirklich nicht Teil des Handels. Du kannst nicht erwarten, jedem
einen…«
    »Ich habe nicht darum gebeten, Kaiser zu sein, doch da ich
jetzt durch einen Irrtum auf dem Jadethron sitze, liegt es an mir,
nach meinem Willen zu verteilen«, erwiderte Lee. »Du kannst
hier keine stabile Form aufrechterhalten, weil du dich den Codes nur
annähern kannst: ich jedoch verkörpere diese Codes. Ich
werde sie benutzen, um die Lebenden und die Toten zu
bevollmächtigen. Nichts wird vor irgend jemandem geheim
gehalten: die Wissensspeicher werden durchsichtig sein. Meine
Schwester wartet bereits auf den Gesegneten Inseln auf die Toten; sie
sind frei, dorthin zu gehen oder hierzubleiben. Alles, was ich tue,
ist, ihnen das Wissen zu verleihen, die richtige Wahl zu treffen.
Mein ganzes Leben lang habe ich gern deinen Späßen und
deiner Musik zugehört, ohne zu wissen, daß diese Vorliebe
in meinem Y-Chromosom codiert war. Mein ganzes Leben ist von anderen
geformt worden. Mein ganzes Leben hat man mich von der Wahrheit
über mein Leben ferngehalten. Nenn es Rache, wenn du magst, aber
ich möchte, daß die Leute Wahrheit in ihr Leben
bringen.«
    »Junge«, sagte der ›King of the Cats‹,
»du kannst nicht über Nacht ein Utopia errichten.«
    Jesus sagte: »Nein, er hat recht. Wei Lee, die Macht der Wahl
ist alles, was wir euch Menschen je geben können. Auf euch
selbst gestellt werdet ihr vielleicht fehlschlagen und fallen, aber
die Alternativen sind schlimmer. Wenn wir euch aufheben, werdet ihr
schlimmer dran sein als Sklaven, und wir sind besudelt durch
Besitztum. Wenn wir euch zerstören, dann ist euer Potential auf
ewig verloren, und unsere Schuld wird uns bis zum Ende der Zeit
heimsuchen. Weil das Universum nicht für euch geschaffen worden
ist, habt ihr das Potential, etwas weit Größeres als wir
zu werden. Dafür werden wir euch stets lieben.«
    »Du hältst jetzt den Mund«, sagte der ›King of
the Cats‹. »Du bist bloß zum Fahren hier.«
    Jesus lächelte, und seine Zähne schimmerten im Licht
seines Halo. »Ich mag Metaphern nicht, aber ich sitze wahrhaftig
auf dem Fahrersitz. Du bist die Schnittstelle, aber du bist nur eine
von vielen. Du kennst den Konsens, und du weißt, du mußt
durch ihn gebunden werden.«
    Der King rückte seine große Brille mit den rechteckigen
dunklen Gläsern zurecht. Er war um vieles älter und um
vieles fetter, und in einen Overall gezwängt, der bis zum
Bauchnabel offen stand und vor Rheinkieseln glitzerte. Er sagte:
»Es gefällt mir einfach nicht, es so enden zu sehen, in
einem Durcheinander. Es ist nicht sauber.«
    »Es ist kein Ende«, sagte Jesus. »Es ist ein
Anfang.«
    Der ›King of the Cats‹ entgegnete: »Also laß
mich meinen Job auf meine Weise erledigen, bis ich das Ende meines
Strangs erreiche. Dann kannst du anfangen, mich herumzuzerren. Warum
sollte ich mich mit dem hier abfinden?«
    »Weil du Teil einer Demokratie bist, und keiner von uns hat
seine Bevollmächtigung durch Lärm bekommen.«
    Darüber dachte der King nach. »Lärm ist mein
Leben«, sagte er und reichte Miriam Makepeace Mbele ein randvoll
gefülltes Glas Thunderbird-Weins, beugte sich hinüber und
reichte eines Lee und stieß mit einem dritten Glas
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