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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub
Autoren: Paul J. McAuley
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Tag
stärker. Die Veränderungen, die ich am Informationsraum
vorgenommen habe, bedeuten, daß ich mich vor ihnen nicht
verbergen kann. Nichts kann versteckt werden.«
    »Du brauchst niemanden, der dir sagt, was zu tun ist, und du
brauchst auch auf niemanden zu hören. Ich weiß, du hast
nie auf mich gehört.«
    »Ich bin nicht, was ich gewesen bin. Ich habe mich…
vervielfacht. Dieses Erscheinungsbild liegt vielleicht meinem
menschlichen Selbst am nächsten, aber ich bin jetzt Tausende.
Ich fürchte, daß ich das werde, was das Ding im
Jupiter-Orbit zu werden gefürchtet hat: ein Ersatz-Gott, Kaiser
der Menschheit für alle Zeiten. Ich hoffe, daß jemand
diesen bitteren Kelch von mir nehmen wird.« Er sah auf seine
Hände, welche die ihren umfaßten. »Du bist
größer geworden, Chen Yao. Bald genug wird es junge
Männer geben, die hinter dir her sind.«
    »Keiner von uns ist das, was wir gewesen sind… Was junge
Männer betrifft, gibt es keinen, den ich kenne. Vette und ich,
und Nummer Achtundvierzig, wir leben allein.«
    »Was das betrifft, denk daran, daß nichts auf immer
gleichbleibt.« Wei Lee lächelte und sagte Chen Yao,
daß er ein Geschenk für sie hätte, und er legte ihr
einen prickelnden Chip in den Mund. Als er sich in ihr auflöste,
löste sich der Thronsaal rings um sie her auf (obgleich sie
jetzt wußte, wo sie ihn finden könnte, jetzt und auf
immer), und sie war sich des Sofas unter ihr bewußt, der Maske
über ihren Augen und der Handschuhe an ihren Händen, des
Vogelgesangs, der durch das offene Fenster drang, und Vettes, die
irgendwo im Haus mit den Töpfen klapperte.
    Das war der Tag, an dem der Roboter verschwand. Er war das ganze
Jahr bei ihnen geblieben, aber als der Frühling zum Sommer
geworden war, hatten sie jeden Tag weniger von ihm gesehen. Nachdem
Wei Lee mit Chen Yao gesprochen hatte, sahen sie ihn niemals
wieder.
    Am nächsten Tag kam Chen Yao von den Feldern
zurückgelaufen. Es regnete. Sie hatte eine Bande von Leuten
gesehen, die sich aus dem Wald zur Stadt hinaufkämpften. Vette
rannte zum Tor und erkannte eine Flagge wieder, die durchweicht
über die Köpfe der herannahenden Leute gehoben wurde, und
rief laut und winkte. Jemand, der Junge, faßte sie an der Hand.
Er hatte wieder einmal seine Kleidung verloren und stand nackt in dem
wispernden kalten Regen.
    »Schon gut«, sagte Vette. »Dies sind meine Leute!
Dies ist die Nation der Freien Yankees! Sie haben mich
schließlich gefunden!«
    Der Junge starrte sie an, während der Mund um seinen Daumen
herum arbeitete. Er hatte die ganze Zeit über nicht gesprochen
und starrte in schweigendem Unverständnis fast ebenso nackte
Menschen an, maskiert und tätowiert, die den Pfad zum Letzten
Haus heraufgerannt kamen. Sie lachten und jubelten und riefen Vette
Fragen zu.
    Seine Zeit war noch nicht gekommen.

 
     

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81
     

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    Aber sie kam. Eines Tages, fünf lange Jahre nachdem es zu
regnen angefangen hatte, fuhr eine Frau mit einer Barke den
Großen Kanal zu einer Küstenstadt hinab, wo rostige,
jedoch noch immer benutzbare Aufzüge von einer hohen Klippe zu
der entfesselten wogenden See hinabtauchten. Sie war die liebe
Tochter des Hauses Kong, die Älteste der einhundertzehnten
Generation von Nachkömmlingen des Großen Weisen, und das
Wesen des Erlösers der Welt war in den Fulleren-Viren codiert,
die sich in gewissen eingepflanzten Stromkreisen ihres Nervensystems
niedergelassen hatten.
    Ein Yankee-Geist hatte ihr eine Botschaft von einem anderen Ort
gebracht. Der Geist war des Nachts zu ihr gekommen, zu ihrem blau
brennenden Abbild, und hatte der Frau den Jungen gezeigt, dessen Kopf
nichts weiter als jemand anderes codierte Erinnerungen enthielt. Der
Geist hatte erklärt, daß es nun an der Zeit sei, jene
Erinnerungen wieder lebendig werden zu lassen, und er hatte der
lieben Tochter des Hauses Kong gesagt, was sie tun müsse.
    Und so hatte sie am Morgen ihrem Gatten gesagt, daß die Zeit
schließlich gekommen sei, ihre Schuld zu begleichen. Sie hatte
eine kleine Tasche gepackt, der Reihe nach ihren fünf Kindern
einen Kuß gegeben, und war zu ihrer Reise aufgebrochen.
    Der Mars hatte sich verändert, doch die Menschen auf dem Mars
hatten sich weniger verändert, als man sich vielleicht
vorstellen mochte. Sie liebten sich, lachten, sahen sich Heldenopern
an und wetteten auf Kampfgrillen, betrogen, ergaunerten und logen
– und töteten sogar manchmal –, wie sie es stets getan
hatten.
    Kein Diktator, gleich wie
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