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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub
Autoren: Paul J. McAuley
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erklären, die wachsende Transparenz der
Architektur des Mediums. Man konnte überall hingehen, sogar in
den Himmel. Vette war nicht interessiert: sie glaubte, daß die
geistige Welt nur eine Massentäuschung wäre. Alles, was
zählte, war, daß Wei Lee die Regen zurückgebracht
hatte.
    Chen Yao benutzte das Sofa, um mit Leuten in der ganzen Welt zu
sprechen, und mit den Erscheinungsformen der anderen Götter in
Xin Beijing. Sie sagten ihr, daß Regen auf beiden Halbkugeln
des Planeten fiele und Schnee über der Großen
Nördlichen Wüste. Etwa zehn Prozent der Eisboliden der
Anarchisten hatten sich während ihres Gleitflugs durch die
Atmosphäre nicht aufgelöst, sondern waren in einem
Stück herabgefallen. Eine Reihe explosiver Erschütterungen
hatte eine unregelmäßige Kette neuer Krater um den
Äquator herum erzeugt, und ein vielfacher Einschlag nahe der
Hänge des Gepflasterten Berges hatte die ausgedehnten fossilen
wasserführenden Schichten freigesetzt, die unter dem
Drachenrücken lagen. Wasser war in die Staubmeere geflossen,
mehr als eine Milliarde Liter pro Stunde. Die Staubmeere hatten sich
in einen Sumpf verwandelt und dann in flache Salzmeere. Ihr
künstliches Ökosystem – die glitzernden Schwärme
von Phytoplankton und Zooplankton und die langsamen monströsen
Staubrochen – war auf immer zerstört, und noch immer
floß Wasser von den wasserführenden Schichten herab. Und
die Fulleren-Viren, die von den anderen Eisboliden freigesetzt worden
waren, vervielfachten sich exponentiell. Sie hatten bereits
ausgedehnte Haufen in dem tiefen Permafrost gebildet, und ausgasende
Geysire und Sümpfe entwickelten sich überall auf den
Hochebenen, während dünne stratosphärische Schichten
von Chlorfluorkohlenstoffen sich allmählich von den Polen her
ausbreiteten.
    Es war der chaotische Frühling eines neuen klimatischen
Zeitalters.
    Auch der Fall des Kaisers hatte das Chaos herbeigeführt. Die
Zehntausend Jahre waren besiegt worden. Der Kleine Vogel war
kopfunter von seinen ehemaligen Truppen an einem
Übertragungs-Relaisturm aufgeknüpft worden, als die
Sprachrohr-des-Volkes-Armee die Hauptstadt in einem kurzen, heftigen
Angriff wieder einzunehmen versuchte, den die Regen beendet hatten.
Die Sechserbande hatte im selben Augenblick in ihren verschiedenen
Häusern rituellen Selbstmord begangen. Der Körper von Lees
Urgroßvater war von dem Jungen-Ding getötet worden, in den
seine Persönlichkeit zum Teil geschrieben worden war. Viele
andere waren einfach verschwunden.
    Und Wei Lee war jedem erschienen, der den Informationsraum
benutzte. Jeder, der mit Chen Yao sprach, sagte ihr, daß Wei
Lee ihnen das Geschenk der Bemeisterung der Struktur überreicht
hätte, die das Wissen der Welt in sich barg. Nichts war mehr
verborgen.
    Aber Wei Lee kam erst ein Jahr nach seiner Vergöttlichung zu
Chen Yao selbst, an einem der seltenen sonnigen Tage im
Frühsommer. Als sie sich die Maske überstreifte und sich
auf das Sofa legte, erschien ihr nicht das gewöhnliche
Wahrnehmungs-Gitterwerk, sondern eine Person, groß und in
schwarzer Robe, mit einer Kapuze, die sie sich übers Gesicht
geworfen hatte. Er faßte sie bei der Hand, und dann stand sie
vor dem großen Thron in der Halle der Höchsten
Harmonie.
    Die Gestalt warf die Kapuze zurück, und Chen Yao lachte laut
heraus, als sie Wei Lees Gesicht sah. Er lachte gleichfalls und
setzte sich auf die Stufen unterhalb des Throns, so daß sein
Gesicht auf gleicher Höhe mit ihrem war. Er erzählte ihr,
daß er mit den Lebenden fast zu Ende sei, daß er
weitergehen wolle zu den Inseln der Seligen, um sich seiner Schwester
und den Myriaden von Toten anzuschließen.
    Chen Yao wollte wissen, ob Wei Lee in die wirkliche Welt
zurückkehren würde, wo seine Erinnerungen sicher in der
Wölbung des Schädels von dem Jungen schliefen.
    Wei Lee sagte, er hätte sich zu sehr verändert, um
zurückkehren zu können. Aber obgleich der arme Nummer
Achtundvierzig nur mit Teilen von Lees Gedächtnis infiziert
worden war, trug ein anderer Teile von Lees eigenem Selbst. Es lag an
ihr, daß er wiedergeboren würde, und inzwischen
würden Virensprößlinge Nummer Achtundvierzig für
immer jung halten.
    »Bis«, sagte Wei Lee, »für mich die Zeit
kommt, verbannt zu werden. Ich wollte nie Kaiser werden, Chen Yao,
aber der bin ich nun. Ich wünsche, unter den Toten zu
verschwinden, aber es scheint, als ob die Lebenden noch nicht mit mir
fertig seien. Sie wollen einen Kaiser, und ihr Wille wird jeden
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