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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub
Autoren: Paul J. McAuley
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den kurzen Blitzen, war abgehärmt und abgespannt; sein Putz
war von dem unvermindert herniederstürzenden Regen ruiniert.
    »Die Explosion selbst war nicht wichtig«, sagte Lee
atemlos, »aber der magnetische Impuls, der durch die Explosion
hervorgerufen wurde, hat deine Verteidigungsanlagen dem Himmel
gegenüber geöffnet. Jede gehärtete Maschinerie war
einen Augenblick lang blind, und ein Augenblick war alles, was die
Anarchisten benötigten.«
    Der Kaiser sagte: »Das wird vorübergehen. Ich herrsche
hier. Mein Champion wird die Oberhand gewinnen, und ihr werdet beide
sterben. Der Junge als erster.«
    Er breitete die Arme aus, und der Junge, Nummer Achtundvierzig,
stieg in die Luft. Er kreischte und griff nach Wei Lee, aber etwas
erfaßte ihn und schleuderte ihn in den Kaiser. Einen Moment
lang sah Lee den Jungen innerhalb des schattigen rhythmisch
schwingenden Umrisses des Kaisers schrumpfen. Dann war er
verschwunden, und nur der Kaiser stand noch vor ihm.
    »Und jetzt du, kleiner Mensch«, sagte der Kaiser.
    Lee sagte: »Ich bin bereits tot. Und du auch.«
    »Ich war nie lebendig, törichter Wei Lee! Du kannst mich
nicht verletzen. Du bist ein Geist in der Sphäre der Geister,
und ich bin derjenige, der den Himmel hochhält.«
    »Oh, aber darum habe ich mich bereits gekümmert. Du hast
den Jungen gegessen, und er war mit Viren infiziert.« Lee lachte
und griff nach dem Kaiser.
    Dieser schlug kraftlos nach seinen Händen, als Lee die freie
Kette um seinen Hals packte und hart daran zog, wobei die
Verbindungen aufschnappten. Er öffnete den Beutel und nahm den
Maschinencode-Chip heraus.
    Das Phantombild, jetzt kein Kaiser mehr, wimmerte: »Du bist
tot! Du bist ein Geist!«
    Lee lachte, schloß die Augen und verschluckte den Chip.

 
     

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78
     

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    Er hatte nicht gewußt, was er zu erwarten hatte.
Zunächst war es, als stünde jemand hinter seinem
Rücken und würde wütend schreien. Aber langsam
verblaßte das Gefühl eines Phantombilds. Es war wie ein
Blutstropfen, der sich in einem funkelnden Meer auflöst: Lee war
dieses Meer.
    Und dennoch war er auch er selbst. Er war noch immer derselbe
junge Agrartechniker, der mit seinen beiden Freuden so begierig in
jenen Frühlingsmorgen hinausgegangen war; er würde es stets
sein.
    Er öffnete die Augen. Das Unwetter war vorüber. Der
letzte Regen fiel schräg vom Himmel, silberne Speere, die leise
zur Erde fielen, während sich die Gewitterwolken auflösten.
In dem grauen Licht der Datenströme sah Lee, daß sich die
hohen Mauern um die Verbotene Stadt gleichfalls aufgelöst
hatten. Rings um den weiten, weiten Horizont lag eine
ringförmige Flutwelle aus Geistern. Sie eilten nach innen, aber
die Entfernung war so groß, daß sie sich überhaupt
nicht zu bewegen schienen, eine ewige, immerzu niederstürzende
Woge.
    Etwas näher, ein wenig den Hang des zerstörten Parks
hinab, stand eine Frau über ihrer toten Zwillingsschwester. Es
war Miriam Makepeace Mbele. Sie atmete schwer, und Blut strömte
ihr aus einer Wunde auf der Kopfhaut, tränkte ihr das
kurzgeschnittene Haar und rann ihr in den Kragen des schwarzen
einteiligen Overalls. Sie stützte sich auf dem Knauf eines
rauchenden Schwerts ab, das sich in den Boden gebohrt hatte. Nach
einem Augenblick ließ sie die Waffe, wo sie war, und ging den
Hügel hinauf zu Lee.
    »Es ist vorüber«, sagte sie. »Ich spüre
es!«
    »Es fängt gerade erst an«, sagte Lee.
    Miriam Makepeace Mbele drehte sich neben ihm um und sah die
stehende Welle am Horizont. »Du Narr!«
    »Die Verlorenen Inseln sind geöffnet worden. Jetzt ist
da keine Mauer mehr. Kein Unterschied zwischen dem, was sein sollte,
und dem, was sein wird. Ebenso, wie der Mars allen gehören wird,
wird auch der Informationsraum allen gehören. Nichts geheim.
Nichts verborgen. Ich habe die Mauer des Himmels
niedergerissen.«
    Er sah Miriam zu, wie sie in Betracht zog, sich wieder zu
verändern, den Versuch in Betracht zog, seine Integrität zu
zerstören, in Betracht zog, eine Komponente seines Virensystem
einzuschalten. Sie hätte ihn auf ein Dutzend Weisen töten
können, aber er wußte, daß sie es nicht tun
würde.
    Statt dessen lächelte sie. »Wenigstens wirst du niemals
Kinder haben. Du bist eine Ein-Mann-Dynastie, Wei Lee. Genieße
dein kurzes Leben, wenn du es kannst, lieber kleiner
Bruder.«
    »Dafür habe ich bereits gesorgt. Ich bin du, aber mit
etwas mehr.«
    »Du bist ich, halb verkrüppelt.«
    »Urgroßvater Wei hat ein Ovum vom Nexus
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