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Roter Herbst - Kriminalroman

Roter Herbst - Kriminalroman

Titel: Roter Herbst - Kriminalroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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dort, wo sich Himmel und Erde berührten, dort, wo sich Gott und Teufel trafen.
    Vor ihm lag eintöniges, feuchtes Land, so weit er sehen konnte. Schlüpfriger Morast. Tümpel von schmutzigem Blut. Monatsblut, schoss es ihm durch den Kopf. Bläschen auf braunem Wasser. Um ihn herum ein Glucksen und Brodeln, sodass er sich vorkam wie in einer überdimensionalen Hexenküche. In jeder Pfütze das Gekrösel kleinster Lebewesen – dazu ein Geruch nach Fruchtbarkeit, nach blühender Verwesung. War dies vielleicht das verlorene Paradies?, schoss es ihm durch den Kopf. Oder doch eher der Zugang zur Hölle. Gedanken, die er sogleich wieder verwarf. Absurde Gedanken.
    Ihm schien, als würde die Zeit stillstehen. Nichts passierte an diesem Ort. Dann, mit einem Mal, zog Nebel auf, kam aus dem Nichts, wehte vorbei und raubte ihm für eine Weile die Sicht. Er würde sich nie an diese Landschaft gewöhnen, ging es ihm durch den Kopf. Die ungeheure Weite, dazu der Nebel, der alles infrage stellte, der dem Auge trügerische Geborgenheit vorspiegelte. Schwaden von weißem Dunst, die unvermittelt kamen und gingen.
    Das Moor mit seinen verlassenen Torfwegen, seiner sumpfigen Tiefe, den unzähligen Schichten vergangenen Lebens, wirkte bedrückend auf ihn, machte ihm Angst, und gerade hier, in dieser Umgebung, fühlte er seine ganz persönliche Einsamkeit. Dennoch konnte er sich der Faszination der Landschaft nicht entziehen.
    Nur Augenblicke später lichtete sich der Nebel und gab den Blick erneut frei auf die graubraune Fläche, die sich im Wind zu wiegen schien. Nichts, an dem sich das Auge festhalten konnte. Nur am äußersten Rand, in schier endloser Ferne, entdeckte er eine Hand, die wie ein bleiches Gerippe aus dem Boden ragte und zum Himmel deutete. Ein Baum vielleicht? Trockenes Gehölz ohne Leben. Daneben ein schwarzer Punkt, der sich bewegte.
    Mehrere Minuten lang konzentrierte er sich auf den Punkt, verlor ihn aus den Augen, als die Bilder vor ihm zu flimmern begannen. Dann war er wieder da, und er war größer geworden.
    Jemand rannte auf ihn zu.

    Mehr als ein Jahr war es nun her, seit Adolf Bichlmaier, Kriminalkommissar bei der Regensburger Kripo, dem Dienst ferngeblieben war. Offiziell krankgeschrieben, befand er sich immer wieder in Behandlung, ohne dass die Ärzte mit letzter Gewissheit sagen konnten, was ihm fehlte. Er allein wusste, dass die Ereignisse, die seinen letzten Fall begleitet hatten, ihm die Sicherheit geraubt hatten, die er gebraucht hätte, um sinnvoll weiterzuleben und weiterzuarbeiten, die Sicherheit, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Er hatte erkennen müssen, dass es keine Wahrheit und keine Seele gab und die Welt chaotisch und bar jeglichen Sinns in absoluter Leere kreiste. Da gab es keine Orientierung, keinen Halt. Hatte er bislang geglaubt, als kleines Rädchen Ordnung in dieser unvollkommenen Welt bewahren zu müssen, so war ihm während der damaligen Ereignisse auch dieser Glaube abhandengekommen, war ihm der Riss in seinem Leben, der Bruch zwischen seiner Rolle als Polizist und dem, was er glaubte zu sein, schmerzlich bewusst geworden. Er hatte die Orientierung verloren, den Kompass seines Lebens, und es war seine Seele, die darunter litt. Wohl war es – dessen war er sich ziemlich sicher – die Krankheit der Zeit, die auch ihn erfasst hatte.
    Anfangs hatte er sich in seine Wohnung in Regensburg zurückgezogen, sich darin eingeigelt, bis er gemerkt hatte, dass seine Gedanken in der Abgeschiedenheit angefangen hatten, sich im Kreis zu drehen. Ein Gefühl von Leere hatte sich seiner bemächtigt. Die kleinsten Probleme hatten sich zu krakenhaften Bedrohungen entwickelt, bis er nur noch dagesessen und vor sich hingestarrt hatte. Damals war er sich seiner Situation durchaus bewusst gewesen, hatte seine Hilflosigkeit erkannt, und war doch nicht in der Lage gewesen, etwas dagegen zu tun.

    Kurz darauf hatte er angefangen, zu trinken. Der Alkohol hatte ihm anfangs geholfen, sich zu betäuben. Als er das erkannt hatte, war er bereits verloren gewesen. Zuerst waren es nur kleine Mengen gewesen, Wein und Bier und immer wieder auch Magenbitter vom nahen Kiosk. Irgendwann war er so weit gewesen, dass er ohne die ganz harten Sachen nicht mehr existieren konnte. In dieser Zeit hatte er begonnen, sich selbst zu vernachlässigen, hatte sich treiben lassen. Morgens war er kaum aus dem Bett gekommen, und wenn er es doch geschafft hatte, hatte er sich sofort nach dem Abend gesehnt, um sich die
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