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Rost

Titel: Rost
Autoren: Philipp Meyer
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nicht so groß wie Poe, sah nach Latino aus
und trug am Hals die Tätowierung Jesús . DieseMänner waren alle kräftiger als Isaac; der Schwede war, wie sich jetzt
zeigte, mindestens zwei Meter groß.
    »Ihr habt echt Glück, dass wir hier rein
sind«, sagte der Latino. »Gibt paar Irre in der Gegend.«
    »Hey, Jesús«, rief Murray. »Sei nicht so ’n Scheißmexikaner.«
    »Murray möchte lieber mal die Fresse halten«, sagte der.
    Otto, der Schwede, fügte an: »Wenn das so weitergeht, wird das hier
noch ’n Scheißkongress.«
    »So sind die zwei nicht, die sind aus der Gegend.«
    Der gesamte Raum wirkte dunkel und klein, der Schwede nahm ein
langes Stück Holz und rammte es lautstark in den Ofen. Isaac war unklar, wie er
Poe dazu bewegen konnte abzuhauen. Die Glut knackte und schoss Funken, und die
Schatten an der Wand ähnelten fünf hockenden Affen. Das wird hier nicht besser,
dachte Isaac. Jesús zog etwas aus der Tasche, Isaac zuckte zusammen, und Jesús
fing an zu lachen. Bloß eine Whiskeyflasche.
    »Muss mal pinkeln«, sagte Isaac. Er musste gar nicht; er wollte bloß
weg und schaute Poe an, aber der kapierte nichts.
    »Nur zu«, sagte Poe.
    »Die zwei pinkeln immer zusammen«, sagte Jesús.
    Isaac wartete noch, aber Poe blieb, wo er war, und starrte Jesús und
den Schweden an. Poes Jacke, sah er, lag beim Rucksack auf dem Boden. Poe war
jetzt in einer ganz bestimmten Laune, kam sich unverwundbar vor. Isaac hob den
Rucksack hoch, alles darin war unverzichtbar, packte einen Tragegurt und fühlte
sich beobachtet. Wie konnte er Poe sagen, denk an deine Jacke? Schließlich ging
er raus, allein.
    Es war fast dunkel, das Gewitter war jetzt weggeweht, auch wenn von
neuem Wolken aufzogen – jenseits der Wiese sah er, wie am Fluss die Bäume
schwankten. Wieder fragte er sich, wie er Poe herauslocken sollte. Der glaubt,
wir sind noch auf der Schule. Das Gelände lag voller Metallschrott, hohes Gras
umstand Haufen von Zugteilen, riesige Motorblöcke, Zahnräder,Räder und
Antriebswellen. Ein Halbdutzend Fledermäuse zischte knapp hinweg über die Berge
aus verrostetem Stahl.
    Blutorange leuchtete der Himmel mit den hohen Wolkenballen, Isaac
sah sich das an, bis nichts mehr von der Sonne da war. Keine Ahnung, ob er
reingehen und Poe holen sollte oder ob Poe selbst rauskommen würde. So was
brachte Poe andauernd. Beinah wär er in den Knast gegangen, weil er einen
Jungen aus Donora fertiggemacht hatte, die Bewährung dafür lief noch. Kommt an
keiner Schlägerei vorbei, unfassbar. Kann wahrscheinlich nichts dafür.
Wahrscheinlich ist das so, wenn man so groß ist wie er.
    Plötzlich waren von drinnen laute Stimmen zu vernehmen, dann
Geschrei, Geschepper. Isaac zog seine Rucksackgurte straff, sah ihre
Fluchtroute über die Wiese vor sich, wartete, dass Poe herausgerannt kam. Der
tauchte nicht auf. Du wartest jetzt, befahl er sich, bleibst einfach sitzen.
Das Geschrei brach ab, der Lärm auch. Isaac wartete. Ist ja vielleicht doch
alles in Ordnung. Nein, da läuft was schief. Du musst da wieder rein.
    Ihm zitterten die Hände, und er nahm das Geld aus seiner Tasche,
stopfte es tief in den Rucksack und versteckte ihn rasch unter einem großen
Blech. Nur keine Panik. Hat der Kleine doch alles im Griff. Geh nicht mit
leeren Händen rein. Er sah ein kurzes Eisenrohr, das würden sie ihm gleich
abnehmen. Da, unter dem anderen Schrott – er steckte vorsichtig die Hand unter
den rostigen Haufen, wo ungefähr ein Dutzend Kugeln lagen, industrielle
Kugellagerkugeln. Er nahm eine in die Hand. Die Größe eines Baseballs oder
größer, kalt und schwer. Vielleicht zu schwer. Er überlegte, ob es etwas
anderes gab. Nein, keine Zeit. Jetzt geh schon rein. Und nimm die andere Tür.
    Nachdem er leise durch die Hintertür geschlüpft war, sah er, was da
los war. Murray lag am Boden. Und der Mexikaner, hinter Poe, hielt diesem etwas
an den Hals; die andere Hand hatte er ihm zwischen die Beine gesteckt. Poe
hielt beide Hände hoch, als wollte er dem Mann sagen, ganz ruhig. Sie standen
im Feuerscheinund abgewandt von Isaac. Der war, unsichtbar für die anderen,
im Dunkeln.
    »Scheiße, Otto«, schrie der Mexikaner, »ich hab nicht den ganzen Tag
Zeit.«
    »Draußen ist dein kleiner Kumpel nich zu sehen«, sagte eine Stimme.
»Muss schon abgezogen sein.«
    Der Schwede kam vom anderen Ende des Gebäudes zurück, sein Gesicht
glänzte im Licht, er grinste Poe an, so als freute er sich, ihn zu sehen. Isaac
packte die Kugel fester, fühlte
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