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Rost

Titel: Rost
Autoren: Philipp Meyer
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ihre Schwere, zwei, vielleicht drei Kilo,
wippte auf sein hinteres Bein und warf sie, so fest er nur konnte, warf sie so
fest, dass er in der Schulter spürte, wie ein Muskel riss. Die Kugel flog,
verschluckt vom Dunkel, dann ein lautes Knacken, als sie Otto mitten auf die
Nasenwurzel traf. Otto war wie erstarrt, dann lockerten sich seine Knie, er
schien direkt nach unten einzustürzen, ein zusammenbrechendes Gebäude.
    Poe machte sich los und lief zur Tür hinaus; Isaac stand da wie angewurzelt
und starrte den Mann an, den er grad getroffen hatte, dessen Hände und Füße
leicht zuckten. Geh, dachte er. Während Murray immer noch am Boden lag, kniete
Jesús beim Schweden, sprach mit ihm und strich ihm über das Gesicht, doch Isaac
wusste Bescheid – er wusste ja, wie schwer die Kugel war, und auch, wie fest er
sie geworfen hatte.
    ***
    In der Dunkelheit waren die Bahngleise kaum zu erkennen. Wieder
regnete es. Isaacs Gesicht und seine Hände waren glitschig vom Schlamm und erst
recht die Schuhe, er war vollkommen durchnässt, doch ob das Schweiß war oder
Regen, wusste er nicht.
    Du brauchst deinen Rucksack, dachte er. Nein, du kannst unmöglich
zurück. Wie schlimm dieser Typ wohl verletzt ist? Dieses Ding war richtig
schwer, dir tut noch jetzt der Armweh von dem Wurf. Hättst du ihn bloß
nicht im Gesicht getroffen.
    Vor ihnen lag Buell mit seinen Lichtern, es war nicht mehr weit. Mit
einem Mal bog Poe ab, bahnte sich den Weg durch das Gestrüpp in Richtung Fluss.
    »Ich muss mich waschen«, sagte er zu Isaac.
    »Wart doch, bis du zu Hause bist.«
    »Er hat mich angefasst, da auf der Haut.«
    »Wart doch, bis du zu Hause bist«, beharrte Isaac, und seine Stimme
klang wie von woandersher. »Das kriegst du sowieso nicht ab mit diesem Wasser.«
    Was vom Himmel fiel, wurde zu Eisregen, Poe hatte obenherum nur ein
T-Shirt an, sonst nichts. Bald wird er unterkühlt sein, dachte Isaac. Ihr könnt
schon nicht mehr richtig denken, und er ist noch schlimmer dran – gib ihm den
Anorak.
    Er zog ihn schnell aus und hielt ihn Poe hin. Nach anfänglichem Zögern
wollte der ihn anziehen, aber der Anorak war viel zu klein. Er reichte ihn
zurück.
    Dann hörte Isaac sich sagen: »Komm, wir laufen, dann wird dir auch
warm.«
    Sie joggten eine Weile, doch es war zu rutschig. Poe fiel zwei Mal
in den Matsch, er war in keiner guten Verfassung, und sie beschlossen, lieber
langsamer zu machen. Doch den Mann, der da lag, kriegte Isaac nicht aus dem
Kopf, es hatte so gewirkt, als wär ihm Blut übers Gesicht gelaufen, konnte aber
auch am Licht gelegen haben. Das war ein K.o., sonst nichts, sagte er sich, und
dabei wusste er genau, dass das nicht stimmte.
    »Wir müssen an ein Telefon und einen Krankenwagen für den Typen
rufen. An der Sheetz -Tankstelle ist eins.«
    Poe schwieg.
    Isaac ergänzte: »Münzfernsprecher. Dass wir das sind, kriegen die
nicht raus.«
    »Find ich nicht gut, deine Idee.«
    »Wir können ihn nicht einfach liegen lassen.«
    »Isaac, dem kam das Blut schon aus den Augen, und wie er herumgezuckt
hat, waren das nur noch Reflexe. Wenn du einen Hirsch am Rückgrat triffst, ist
es genauso.«
    »Das hier war aber ein Mensch.«
    »Wenn wir den Krankenwagen rufen, hängt die Polizei gleich mit
dran.«
    Es schnürte ihm die Kehle zu. Er dachte wieder daran, wie der
Schwede auf der Stelle umgekippt war und wie sich die Arme und die Beine
nachher noch bewegten. Einer, der k. o. ist, rührt sich gar nicht mehr.
    »Wir hätten gehen sollen, als die Typen auftauchten.«
    »Das weiß ich.«
    »Deine Mom ist mit Bud Harris gut befreundet.«
    »Bloß dass eigentlich der Typ, den du getroffen hast, gar nichts
gemacht hat. Sondern der, der mich festhielt.«
    »Ein bisschen komplizierter war es schon.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Poe. »Ich kann jetzt nicht klar denken.«
    Isaac beschleunigte die Schritte.
    »Isaac«, rief Poe, »jetzt mach nichts Dummes.«
    »Ich sag’s keinem. Mach dir keine Sorgen.«
    »Warte kurz.« Poe hielt ihn an der Schulter fest. »Du hast das Richtige
getan, das wissen wir.«
    Isaac schwieg.
    Poe nickte Richtung Straße. »Ich muss jedenfalls hier abkürzen,
damit ich hintenrum zum Haus komm.«
    »Ich begleite dich.«
    »Wir müssen uns hier trennen.«
    Darauf guckte Isaac so merkwürdig, dass Poe als nächstes sagte:
»Eine Nacht kannst du zurück zum Alten gehen. Daran wirst du schon nicht
sterben.«
    »Darum geht es nicht.«
    »Du hast das Richtige getan«, beharrte Poe. »Und morgen früh, bei
klarem
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