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Rost

Titel: Rost
Autoren: Philipp Meyer
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Bloß hat er doch welche, auf seine Weise. Halt nicht körperlich,
das ist der Punkt. Dabei, guck dich mal an, du machst dir Sorgen, fragst dich,
ob’s dem Alten gutgeht. Wo du weißt, er wird’s schon schaffen. Lee hat einen
reichen Mann – die können nach Belieben eine Pflegeschwester anheuern. Das war
nicht nötig, solang du da wohntest, doch wo du jetzt weg bist, muss bald eine
Schwester her. Lee kauft sich wieder frei. Du investierst fünf Jahre und sie
ein paar Tage jedes Weihnachtsfest, dann tun sie so, sie und der Alte, als
wär’s Schicksal. Aber trotzdem – sieh mal an – bist du am Ende irgendwie der
Böse. Ist der Kleine glatt zum Dieb geworden, lässt den Vater sitzen, und die
Schwester bleibt die Heldin und der Liebling.
    Er versuchte irgendwie, sich zu entspannen, klappte aber nicht. Der
Kleine hätte gerne eine Dreifachdosis Prozac . Oder
noch was Stärkeres. Er zog das Geld hervor und zählte es erneut, nicht ganz
viertausend Dollar, kam ihm vor wie eine Riesensumme, doch erwusste, dass
es das nicht war. Das wird alles höchstens schwieriger, mit Poe dabei, und noch
befindest du dich hier auf heimischem Terrain. Du glaubst, du hättest
vorgesorgt für alles, mit den Kladden und den Schulmitschriften, alles, was du
brauchst für deinen Neuanfang in Kalifornien. Sieht auf dem Papier perfekt aus,
ist jetzt aber völlig lächerlich. Selbst wenn der Alte nicht die Polizei ruft.
Reiner Stolz, dass du hier draußen bleibst.
    Vom anderen Ende des Gebäudes war etwas zu hören, Poe setzte sich
benommen auf und sah sich um. Da gab es eine Tür, die ihnen gar nicht
aufgefallen war. Drei Männer kamen rein, mit Rucksäcken, sie tropften, traten
sich die Füße ab, zwei große und ein kleiner, die im Halbdunkel standen.
    »Das is hier unser Platz«, sagte der Massigste von ihnen. Er war
deutlich größer als Poe, dickes blondes Haar und dichter Bart. Die drei gingen
um verschiedene Maschinen herum und bauten sich ein Stück vorm Feuer auf.
    Isaac erhob sich, Poe blieb ungerührt. »Der Platz hier gehört keinem«,
sagte er.
    »Falsch, das ist unserer«, sagte der Mann.
    »Ich weiß ja nicht, ob ihr in letzter Zeit mal vor der Tür wart?«
Poe betrachtete die Pfützen, die die Männer hinterließen. »Also wir bleiben
hier.«
    »Wir können gehen«, sagte Isaac. Er dachte an das Geld in seiner
Tasche und wandte den Blick von den Neuankömmlingen ab. Der große blonde
Holzfällertyp, dachte er, war drauf und dran, noch was zu sagen, tat es aber
nicht.
    »Was soll’s«, meinte einer der anderen. »Sie haben immerhin das
Feuer angekriegt.« Er setzte seinen Rucksack ab. Er war der Kleinste und
zugleich der Älteste, schon über vierzig, mit Fünftagebart und schmaler,
furchtbar krummer Nase, offenbar gebrochen und nicht mehr gerichtet. Isaac
erinnerte sich daran, wie Poe mal ohne Helm trainiert hatte, wie ein harter
Treffer ihm die Nase brach und wie er einfach zugepackt und sie gleich auf dem
Spielfeld selbst geradegedrückt hatte.
    Die drei Männer sahen aus, als wären sie schon lange auf der Straße
unterwegs. Der Ältere wrang seine Wollmütze aus und legte sie ans Feuer, seine
nasse Hose klebte an den dünnen Beinen. Als er sagte, dass er Murray heiße,
konnten sie ihn riechen.
    »Kenn ich dich?«, fragte er Poe.
    »Vermutlich nicht.«
    »Falls doch, woher denn?«
    Poe zuckte die Achseln.
    »Football?«, sagte Isaac. »Er war Tight End bei den Buell Eagles.«
    Das gab einen Seitenblick von Poe.
    Murray sah Poes Footballjacke, die beim Ofen ausgebreitet lag. »Ja,
weiß ich noch. Hab Öl gewechselt damals bei Jones Chevy ,
nach der Arbeit haben wir immer die Spiele angeguckt. Ich dachte, du wärst
längst hier weggegangen. Unimannschaft oder so.«
    »Nee«, sagte Poe.
    »Warst aber gut«, sagte Murray. »So lange ist das auch nicht her.«
    Poe sagte nichts.
    »Ist schon in Ordnung. Otto hier war Boxer, als er jung war, Golden Gloves . Er hätte Profi werden können, aber –«
    »War bei der Armee«, sagte Otto. Er war der große Schwede. Hier im
Tal waren die meisten herkunftsmäßig alle spät Eingewanderte: Polen, Schweden,
Serben, Deutsche, Iren. Nicht bei Isaac, das waren alles Schotten, und Poes
Leute waren schon so lange hier, dass keiner wusste, wo sie herstammten.
    »Otto ist aus der Veteranenklinik, er hat Urlaub.« Murray tippte
sich kurz an den Kopf.
    »Du Drecksack, Murray«, sagte Otto.
    Isaac spähte kurz rüber, aber Otto war jetzt still und hielt den
Blick gesenkt. Der Dritte, dunkel,
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