Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
»du bist ein Scheißtourist, und
fertig.«
    Isaac beachtete ihn nicht. Er kniete vor dem Ofen und baute ein
sorgfältiges Feuer, Brennholz, Anmachholz, dann hielt er inne, suchte Äste in
der richtigen Größe. Nicht der beste Ort,aber was soll’s. Immer noch besser
als den Rest des Tages nasse Kleider. So wird’s sein, das Leben auf der Straße,
kleine Annehmlichkeiten sind vorrangig – einfaches Leben. Rückkehr zur Natur.
Und wenn du’s leid bist, kaufst du dir eine Busfahrkarte. Bloß, dann hieße das
ja gar nichts – könntest dir gleich wieder eine holen und zurückfahren. Der
Kleine ist nicht ängstlich. So gibt’s mehr zu sehen – Umweg Texas, zum McDonald-Observatorium.
Davis Mountains, Neunmeter-Teleskop, Hobby-Eberly. Stell dir nur mal die Sterne
vor, da durch gesehen – als wärst du grad selbst dort oben. Fast wie Astronaut
sein. Very Large Array, New Mexico, oder war’s Arizona, weiß nicht mehr. Das
alles sehen. Keine Eile, keine Sorgen.
    »Guck doch nicht so glücklich«, sagte Poe.
    »Ich kann nicht anders.« Er fand noch ein paar kleine Holzscheite
und bastelte weiter an dem Feuer rum, schabte mit seinem Klappmesser
Holzsplitter ab.
    »Du brauchst ja ewig, weißt du das?«
    »Ich mag halt Ein-Anzünder-Feuer.«
    »Wobei, bis du das am Brennen hast, wird’s dunkel sein und Zeit zu
gehen, weil ich verbring hier sicher nicht die Nacht.«
    »Ich geb dir meinen Schlafsack.«
    »Scheiß drauf«, sagte Poe. »Wahrscheinlich haben wir längst TBC , nur weil wir hier sind.«
    »Wird schon gehen.«
    »Du kannst doch nichts«, ließ Poe ihn wissen.
    »Und was machst du, wenn ich weg bin?«
    »Ich werde wohl furchtbar glücklich sein.«
    »Im Ernst.«
    »Hör auf. Wenn mich wer nerven soll, kann ich mit meiner Mutter
reden.«
    »Mit der rede ich.«
    »Bla bla. Was Essbares dabei?«
    »Paar Nüsse.«
    »Typisch.«
    »Gib mir mal dein Feuerzeug.«
    »Was ich perfekt fände, wäre jetzt eine Pizza von Vincent’s . Ich war da neulich, also die nach Art des Hauses
–«
    »Feuerzeug.«
    »Ich würd uns ja eine bestellen, aber Nextel hat mein Handy abgeschaltet.«
    »Hm-hmm.«
    »War ein Witz«, sagte Poe.
    »Superwitzig. Gib das Feuerzeug her.«
    Seufzend reichte Poe es ihm. Isaac zündete das Feuer an. Es griff
schnell um sich. Denn es war ein gutes Feuer. Jetzt trat er die Ofentür auf,
bis zum Anschlag, lehnte sich zurück und musterte befriedigt das vollbrachte
Werk.
    »Grinst du auch noch, wenn hier die Bude abfackelt?«
    »Für einen, der zwei Kerle krankenhausreif –«
    »Vorsicht«, sagte Poe.
    »Na sicher doch.«
    »Du weißt, ich finde dich in Ordnung, Hirni. Wollt ich nur kurz sagen,
falls du was auf meine Meinung gibst.«
    »Du könntest wahrscheinlich bei jeder Footballmannschaft sofort
einsteigen. Es gibt da draußen viele Unis, ist wie Baywatch .«
    »Nur dass alle Leute, die ich kenne, hier leben.«
    »Ruf diesen Trainer aus New York an.«
    Poe zuckte die Achseln. »Freue mich für dich«, sagte er. »Du wirst
dich schon durchschlagen, genau wie deine Schwester. Bis hin zu dem reichen
Kerl, den du am Ende heiraten wirst. Irgendeinen lieben alten Herrn, du wirst
in San Francisco schnell die Runde machen …«
    Beide schwiegen, während sie sich im Versteck umsahen. Poe stand auf
und nahm sich ein Stück Pappe, das er ausbreitete, um sich draufzulegen. »Ich
bin immer noch betrunken«, sagte er, »na Gott sei Dank.« Er streckte sich aus
und machte die Augen zu. »O Mann, mein Leben. Nicht zu fassen, dass du das
jetzt machst.«
    »Ab heute bin ich Isaac der Tramp.«
    »Der Liebling der Matrosen.«
    »Fürst der Tippelbrüder.«
    Poe schmunzelte. »Falls das deine Art sein soll, dich zu entschuldigen,
dann nehm ich an.« Er rollte sich zur Seite und schlang seine Footballjacke um
sich. »Könnte kurz die Augen ausruhen. Und weck mich, wenn der Regen aufhört.«
    Isaac trat ihn: »Steh auf.«
    »Lass mich doch einfach glücklich sein.«
    Isaac wandte sich wieder dem Feuer zu. Scheint ja zu ziehen – werden
also nicht an Kohlenmonoxid sterben. Tritt ihn noch mal. Nein. Lass ihn. Wird
wahrscheinlich gleich ohnmächtig. Sobald er mal stillsitzt. Nicht wie du – du
schläfst ja selbst in deinem eigenen Bett kaum ein. Du würdest an so einem Ort
wie diesem nicht ein Auge zutun. Wenn er doch nur mitkäme. Er musterte die
alten Maschinen im Raum, die alten Dachbalken, die grauen Lichtspalten an den
verbretterten Fenstern. Poe hat vor Menschen keine Angst, das ist der Unterschied
zwischen uns.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher