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Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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in München-Schwabing. Er merkte schnell, dass
Lola von seinem Kommen nicht überrascht war. Doch sie tat, als ob, um ihn nicht
zu enttäuschen. Er ließ sich sein Entsetzen nicht anmerken, als er seine Lola
zum ersten Mal mit dieser Augenklappe sah.
    Sie benahmen sich wie entfesselte Jugendliche. Erst lachten sie
ausgelassen. Dann gingen sie miteinander ins Bett. Dann näherten sie sich ihren
Problemen.
    »Willst du mich heiraten?«, fragte Ottakring.
    Lola sah ihn lange an. Sie legte die Arme um ihn. Er spürte, wie ihr
Kopf an seiner Brust auf einmal bebte. »Weinst du?«, wollte er fragen. Dann
merkte er, dass sie lachte. Sie lachte lautlos, bis sie Tränen in den Augen
hatte.
    »Ottakring, mein Liebster! Willst du mich aus Mitleid heiraten? Eine
Kriegsversehrte nach Hause schippern? Ich bin krankgeschrieben und weiß nicht,
wie’s bei mir weitergeht.« Sie setzte sich im Bett auf und stieß ihn mit dem
Ellenbogen in die Seite. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ich verliere ein
Auge. Dann bin ich wohl für längere Zeit gehandicapt. Oder ich verliere keines.
In diesem Fall werd ich sofort wieder arbeiten. In beiden Fällen würde ich dir
nicht nach Rosenheim folgen. Und du willst nicht nach München – also wo
wäre der Sinn?«
    Er wusste, dass sie sich von dieser Meinung nicht abbringen lassen
würde. Die Enttäuschung war ihm anzumerken.
    »Aber keine Angst«, setzte sie nach. »Ich bleib schon in der Spur.«
    Die Nacht war unruhig. Ein Schneesturm tobte ums Haus. Herr Huber
wanderte bibbernd vor Angst durch die Räume, und sie konnten kaum ein Auge
zumachen. Schon um halb sieben watete Ottakring mit dem Hund durch den
jungfräulichen Schnee zum Bäcker, um Brötchen und die Zeitung zu holen. Der
Schnee knirschte. Die wenigen Autos fuhren vorsichtig. Ein paar lärmende
Nachtschwärmer stritten sich vor einem Zeitungskiosk. Herr Huber blieb stehen
und beäugte sie misstrauisch.

ZWEITER TAG
    » NIKI KIRCHBICHLER TOT ! Herzversagen in
der Sauna!« In fetten Lettern posaunte die Titelseite des Blatts den Tod des
prominenten Sängers hinaus. Ottakring konnte nur den Kopf schütteln und wusste
überhaupt nicht, was er von dieser Nachricht halten sollte.
    Kirchbichler habe im Voglwirt am Vorabend die Sauna aufgesucht, las
er. Zweieinhalb Stunden später war er leblos neben der Holzbank liegend
gefunden worden.
    Bei einem spärlichen Frühstück schilderte Ottakring Lola den Film
von gestern Nachmittag, der sich verschwommen in seinem Kopf abspulte. Die
Beerdigung. Der Voglwirt. Kirchbichler im Musiksalon am Flügel. Wie immer waren
sich beide aus vollem Herzen unsympathisch gewesen. Herr Huber im
Müllcontainer. Noch immer packte ihn der nackte Zorn. Doch welche Gedanken
spazieren durch den Kopf, wenn dieser Mensch plötzlich tot ist? Trauert man da
oder freut man sich? Sollte er plötzlich grau im Gesicht sein, weil sein
Schulkamerad gestorben war, fragte sich Ottakring. Nur für einen kurzen
Augenblick stellte er sich diese Frage. Denn die Antwort kannte er. Er konnte
Niki Kirchbichler nicht mehr zur Rede stellen wegen des Attentats auf seinen
Hund. Seine Wut fand kein Ventil. Aber das war’s dann auch. Eines war
jedenfalls gewiss: Kirchbichler hatte ganz und gar nicht den Eindruck gemacht,
als wolle er sich aufs Sterben vorbereiten.
    Ottakring war der Appetit vergangen. »Lola«, sagte er unvermittelt
mit einer Miene, die nichts Gutes versprach. »Der Erste Kriminalhauptkommissar
Scholl war Leiter des Kommissariats Tötungsdelikte. Er ist tödlich verunglückt
und muss ersetzt werden. Wobei der Nachfolger, den sie ausgesucht haben, für
die nächste Zeit unabkömmlich ist. Und …«
    Wieder lachte Lola glockenhell. Ihre Piratenklappe verrutschte. Sie
rückte sie zurecht. »Und da haben sie …?
    »Genau. Und da wollte ich dich eben fragen … Was meinst du?«
Dass er sich in kniffligen privaten Situationen immer so herumdrücken musste.
    »Für wie lange?«
    Das wusste er selbst nicht. Für unbestimmte Zeit. »Ein Jahr.
Vielleicht zwei.«
    Lola musterte ihn nachdenklich mit dem gesunden rechten Auge. »Was
wirst du hinterher denken, wenn du ablehnst? Wie fühlst du dich dann?«
    Ottakring verstand. Seine Lola. Das einzige Geschenk, das sich
selbst verpackte.
    Der Verkehrsbericht klang durchwachsen. »Ich mach mich besser mal
auf den Weg«, sagte er.
    »Das geht in Ordnung«, sagte sie. »Hier kannst du eh nichts
ausrichten. Pass nur auf, das du nicht unter die Räder kommst.«
    Meinte sie die Autobahn
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