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Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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Dunkelheit. Vielfältige
Gedanken vagabundierten durch seinen Kopf, unscharf und widersprüchlich. Was
nahm ihn mehr in Anspruch? Die Sorge um Lola oder der Anschlag auf Herrn Huber?
Über den war er noch immer fassungslos. War der Kirchbichler denn verrückt
geworden? Da stimmte doch was nicht im Kopf. Die Entscheidung über das
erstaunliche Angebot des Präsidenten hatte er vorläufig vertagt. Sie hatte noch
Zeit. Wenigstens bis morgen.
    Draußen verwandelte sich der Schnee unter den Straßenleuchten in
lauter glitzernde Kristalle. Das Rattern seiner Gedanken verlangsamte sich. Er
stand da, schaute, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Die Zeiger der Standuhr
hinter ihm zeigten auf halb neun. Er wartete auf Lolas Rückruf. Am frühen Abend
war sie auf dem Weg zum Arzt gewesen. Sie hatte nicht viel Aufhebens gemacht.
Doch sie hatte leise geweint. Er auf jeden Fall empfand ihren Zustand als
kritisch. So kritisch, dass sein Magen sich zusammenzog. Ob das zusätzlich auch
vom Nichtrauchen kam? Die Zeit tröpfelte dahin. Ihm war kalt, obwohl sich
Schweiß auf seiner Stirn gebildet hatte. Ottakring schloss das Fenster, drehte
sich um und ging ins Zimmer zurück. Es roch stark nach Hund. Das Bier war leer.
Herr Huber gähnte laut im Hintergrund.
    »Hallo, Joe.«
    Endlich. Ihr Anruf. Doch war das Lola? Es war die krächzende Stimme
eines fremden Wesens.
    Sie braucht mich, sinnierte er.
    »Hallo. Wie geht es dir?«, kam es leise aus dem Hörer.
    »Wie – es – mir – geht, fragst du?« Seine Nerven! Er
hätte fast hinausgebrüllt. »Liebes«, sagte er, so sanft er konnte, »ich wart
jetzt seit Stunden auf deine Nachricht. Wie’s dir geht. Nur das ist wichtig.« Ein Hustenanfall überwältigte ihn. Wortlos stieß er
mit dem Fuß nach Herrn Huber, der sich um seine Beine wickeln wollte. »Also.
Wie geht’s dir , Liebes? Was sagen die Ärzte?«
    Er fürchtete schon, sie habe aufgelegt, so lang war die Pause am
anderen Ende. Dann, endlich: »Das rechte Auge ist okay, Joe. Aber das
linke …«
    Lola war vor zwei Wochen auf dem linken Auge operiert worden. Vom
dritten Tag an hatte sie Schmerzen gehabt und den Operateur wieder aufgesucht.
Sie hatte Antibiotika geschluckt. Doch ihr Zustand hatte sich zusehends
verschlechtert. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde Lola Herrenhaus
krankgeschrieben und fehlte im Dienst.
    »… das linke ist total kaputt. Die Hornhaut ist mit Bakterien
infiziert, die Klinik behauptet postoperativ. Ich seh kaum mehr etwas auf dem
Auge, es ist geschwollen, und der Schmerz lässt einfach nicht nach.«
    Was konnte er tun? Außer Trost spenden nichts. Doch die stolze Lola
Herrenhaus würde ein solches Geschenk entschieden ablehnen, da war Ottakring
sich sicher. »Lola …«, begann er.
    »Nun nehme ich halt weiter Antibiotika und trage eine Piratenklappe
überm Auge. Die Folge ist …«
    Herr Huber richtete geräuschvoll bellend seine Grüße aus. Ottakring
hielt ihm mit der freien Hand das Maul zu. »Was ist die Folge?«, fragte er
zurück.
    »Halbblindheit zum Beispiel. Oder Funktionsverlust infolge
Schädigung der Netzhaut, wie sie es nennen. Im Extremfall muss das Auge
entfernt werden. Endophthalmitis heißt das Ding.«
    »Mein Gott«, flüsterte Ottakring. Sein »Himmelherrgottsakra«
schluckte er hinunter. Seine selbstsichere Lola. Lola Herrenhaus, die es von
der beliebten Moderatorin der gleichnamigen Sendung zur Programmdirektorin beim
Bayrischen Fernsehen gebracht hatte. Sein Blick fiel auf ein silbergerahmtes
Foto aus einem Ibiza-Urlaub. Es stand auf dem DVD -Player
neben dem Fernseher. Lola saß am Rand eines grün gestrichenen Holzboots am
Pier, verwaschene Jeans und Bootssandalen an. Sie trug ein weites
türkisfarbenes T-Shirt. Ihre rehbraune Pagenfrisur war vom Wind zerzaust. Lola
blickte direkt in die Kamera, hoffnungslos verliebt in den Mann, der das Foto
schoss. Und eines dieser ausdrucksstarken Augen sollte schlagartig defekt sein?
Nicht auszudenken! Wie durch einen Geräuschfilter hörte er Lola sprechen.
    »In zwölf, dreizehn Tagen wird sich entscheiden, ob ich ein Auge
verliere oder nicht.«
    Ottakring schnaufte durch. »Wirst du später zu Hause sein?«, fragte
er überflüssigerweise. Sein Entschluss stand fest. Er hing nicht von Lolas
Antwort ab.
    »Nein, mein verständnisvoller Lover. Ich werd auf der Stelle in die
Disko rennen und mein Wahnsinnsglück feiern.«
    Eine knappe Stunde später parkte Ottakring den Porsche vor
dem rosafarbenen Mehrfamilienhaus Isabellastraße 36
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