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Rosen für eine Leiche (German Edition)

Rosen für eine Leiche (German Edition)

Titel: Rosen für eine Leiche (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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ihm
gesessen. Und sechs Jahre lang hatten sie sich nicht gemocht und sich oft
gegenseitig zur Weißglut getrieben.
    Ottakring legte die Zeitung zur Seite und verzichtete auf eine
freundliche Miene. »Ich glaub nicht, dass ich dich noch gekannt hätte«, sagte
er bissig. »Aber dein Bild war ja oft genug in den Medien.« Er machte einen
Schritt auf den Flügel zu. »Früher«, fügte er spöttisch hinzu.
    Kirchbichler war ein mittelgroßer, gut aussehender Mann, der wie
Ottakring die fünfzig schon gut überschritten hatte. Eine blassbraune, gelockte
Mähne umspielte seine Schultern. Sportliche Figur in lässigem Outfit. Dunkel
beschattete Wangen ließen auf einen starken Bartwuchs schließen.
    Er lächelte Ottakring an – mit einem strahlenden
Zehntausend-Volt-Lächeln, das zwei Reihen blendend weißer Zähne offenbarte. »Ja
mei, wir werden alle nicht jünger. Schau dich doch an.« Auch er vermied es, dem
anderen die Hand zu reichen. »Ich wohn hier im Hotel. Hab eine Suite auf der
oberen Etage gemietet.« Er winkte ab und lächelte schräg. »Ganz bescheiden.
Eine Junior-Suite.«
    Donnerwetter, was der sich leisten kann, dachte Ottakring.
»Junior-Suite, aha. Haben die hier keine Suiten für Senioren?«
    Wir sind zwei sehr Erwachsene, die sich nach gut dreißig Jahren zum
ersten Mal wieder sehen, dachte Ottakring. Zwei, die weise genug waren, nicht
mehr auf sich selbst hereinzufallen.
    »Hast du noch mal was von dem alten Jitschin gehört?«, fragte
Kirchbichler.
    Blöde Frage. Jitschin war ihr Klassenlehrer gewesen. Mathe und
Physik. Was hätte er schon von ihm hören sollen. Man beendet die Schule, ist
froh darüber und geht seiner Wege. »Er soll einmal auf einem Klassentreffen
aufgetaucht sein«, gab Ottakring so höflich zurück, wie es ihm möglich war.
»Jetzt am siebenundzwanzigsten Dezember ist wieder eines.«
    Kirchbichler nickte und schlug ein paar Töne an, ohne auf die Tasten
zu sehen. »Ja, ich weiß. Wie jedes Jahr. Am Anfang war ich zwei, drei Mal
dabei. Danach nie mehr. Keine Zeit.«
    »Klar. Die vielen Weiber«, frotzelte Ottakring und verzog den Mund.
    Der andere lachte. »Na, so schlimm war’s nicht damit. Die Arbeit,
mein Lieber. Die Arbeit und das andauernde Unterwegssein. Nein, die
Weiber …«
    Wenn einer ihn schon völlig versnobt mit »mein Lieber« anredete!
Ottakring war heilfroh, dass das seichte Geplapper abrupt ein Ende fand, als
die Rosenverkäuferin in der offenen Tür stand.
    »Hallo! Eine Rose für die Herren?«, fragte sie mit schmelzendem
Mezzosopran und funkelndem Blick. Die samtene Weichheit ihres Teints, das
dunkle Haar, die leicht gerunzelte Stirn – was ist das weibliche
Gegenstück zu einem Womanizer, fragte sich Ottakring. Manizer vielleicht?
Männerheldin statt Weiberheld?
    »Soll ich dir eine Rose schenken?« Kirchbichler meinte tatsächlich
Ottakring. Der jungen Frau warf er eine Kusshand zu.
    Absolut. Jetzt reicht’s aber! Ottakring hielt es nicht länger mit
diesem Kotzbrocken aus. Abrupt wandte er sich um.
    Ein unangenehmes Schweigen hatte in den letzten Sekunden zwischen
ihnen geherrscht. Kirchbichler setzte sich wieder an das Instrument, und Ottakring
verließ mit forschem Schritt den Raum. Nach diesem Auftritt musste er etwas
trinken.
    Auf dem Weg zur Bar traf Ottakring auf die trauernde Familie. Sie
hatten es sich in einer der zahlreichen Lounge-Ecken gemütlich gemacht, umgeben
von schmatzenden, lachenden Menschen. Frau Scholl erzählte gerade einen Witz,
Klein-Ferdinand klimperte auf einer Gitarre. Nur der silberhaarige ältere Herr
hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt, hielt die Hände gefaltet und wirkte
angespannt.
    Ein Maskenball, dachte Ottakring, kein Leichenschmaus. Die sind
aufgeräumter als das ganze Hotel. Er nickte der Gruppe kurz zu und ging weiter.
    Zurückgekehrte Skifahrer mit viel Durst, ein paar belesene
Hotelbewohner und Trauergäste, die ein wenig Zerstreuung suchten, hielten die
Bar besetzt. Mittendrin drehte die quirlige Rosenverkäuferin ihre Runde.
Ziemlich gschaftlhuawerisch, wie Ottakring fand. Als er sein Pils halb geleert
hatte, kam er darauf, was er vermisste: den Herr Huber.
    Eine knappe Millisekunde später stand er an der Hundebar. Der
Wassernapf war da, der Futternapf war da – nur der Huber nicht. Er spürte,
wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Langsam drehte er sich um.
    »Wo ist mein Hund?«, fragte er den Rezeptionisten mit einem
gefährlichen Unterton in der Stimme.
    Der tat harmlos. »Ihr Hund? Der Herr
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