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Rosen für eine Leiche (German Edition)

Rosen für eine Leiche (German Edition)

Titel: Rosen für eine Leiche (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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weißem Schnee geblendet. Über ihm war nichts als Himmel, nur
von wenigen, hoch oben schwebenden Wolken durchzogen. Die Sonne hing über den
entfernten Gipfeln im Süden, und die Stadt lag im hellen Licht. Doch ein
gnadenloser Wind pfiff durch die Straße, und der arme Rhododendron links von
der Haustür duckte sich mit eingerollten Blättern wie ein frierendes Kind. Den
Hund ließ Ottakring im Auto. Die eine Stunde würde er’s aushalten, auch wenn’s
draußen kalt war.
    Die Kirche war brechend voll. Der Sarg stand vorn auf den Stufen zum
Hochaltar. Ottakring blieb unmittelbar hinter der letzten Sitzreihe stehen. Er
hatte sich vorgenommen, Scholls Witwe die Hand zu schütteln und ihr sein
Beileid auszudrücken. Wie sie aussah, wusste er vom Foto. Er sah sich um und
suchte nach Bekannten. Dem Rosenheimer Polizeidirektor Schuster, dem
Präsidenten aus München. Nach Chili hielt er Ausschau, seinem Patenkind. Sie
arbeitete im Rosenheimer K1.
Er fand niemanden. Nur unbekannte Gesichter.
    Bis auf eines. Das der Frau vom Dorfkramer in Neubeuern. Sie war es,
die die quietschende Kirchentür als Letzte aufgedrückt hatte. Nun stand sie mit
hechelnder Zunge neben ihm.
    »Hey«, flüsterte Ottakring. Er sah schon Schreckliches auf sich
zukommen. »Was für eine Beerdigung ist das eigentlich?«
    Im selben Augenblick hörte er den Pfarrer sagen: »Und wer hätte
gedacht, dass unsere liebe Schwester im Herrn …«
    »Na ja, die Noichl Luise halt«, sagte die Kramerin. »Ich bin nur zu
spät gekommen, weil ich im Stau gestanden bin.«
    Ottakrings Mundwinkel, die er zu einem falschen Lächeln hochgezogen
hatte, fielen nach unten. Schweißperlen schossen ihm auf die Stirn.
    »Ja, bin ich denn total bescheuert?« Er meinte zu flüstern. Doch die
letzten vier Reihen wandten sich vorwurfsvoll nach ihm um. Die Dorfkramerin
schüttelte nachsichtig ihr Haupt.
    Ottakring spürte, wie er rot wurde. Mit abgewandtem Gesicht
schleppte er sich zur Tür. Er war fast draußen, da drehte er sich noch einmal
um.
    »Hallo«, zischte er der Kramerin zu. »Scholl. Der Kriminaler. Wissen
Sie zufällig, wo der …?«
    »Der mit dem Motorrad? Der findet draußen am Friedhof statt. Ich glaub,
auch um halb drei.«
    So viel zur bayrischen Allwissenheit.
    Rein in den alten Porsche. Herrn Huber beruhigen. Den
Mantel auf den Rücksitz werfen. Gas geben. Verdammt, wo ist ein Parkplatz?
Rückwärtsgang, Gas geben. Einhundert Meter, zweihundert Meter, endlich ein
Parkplatz. Rückwärts einparken. Ungeduldiges, schrilles Gehupe – »ja wo
sammer denn. Da könnt ja jeder …«, brüllte einer mit gezwirbeltem
Schnurrbart aus seinem offenen Wagenfenster. Oberbayern brauchen nie lange zu
suchen. Sie finden immer was zum Aufregen. Aufregen ist bei ihnen so beliebt
wie Blasmusik und Politikerderblecken.
    Ottakring war schon auf dem Weg, da fiel ihm ein, dass er sich von
Herrn Huber nicht verabschiedet hatte. Er kehrte um und wandte die erprobte
Formel an: »Huber, sorry! Ich geh nur schnell einkaufen, bin gleich wieder da.«
Oh verdammt, der Hund musste mal raus, das sah man ihm an. Also: »Komm,
Herr Huber, schön pieseln. Aber schnell!« Hund wieder im Auto verstauen. Im
Laufschritt zum Friedhof. Kruzitürken, Mantel vergessen. Wieder zurück, Mantel
einsammeln. Hund beruhigen.
    Im Laufschritt brauchte er zum Friedhof keine fünf Minuten.
Unterwegs zog er den Mantel wieder aus und warf ihn über den Arm. Die letzten
Meter legte er gehend zurück. Dunkel gekleidete Frauen mit Hüten auf dem Kopf
und dicken Schals um den Hals gingen gebückt auf den Wegen zwischen den
Gräbern. Er überholte sogar den Unimog der Stadtgärtnerei, in dem zwei Männer
saßen. Schwitzend und außer Atem kam er an der Aussegnungshalle an. Er erntete
erstaunte Blicke. Leichter Schneefall setzte ein. Ottakring zog den Mantel
wieder an und klappte den Kragen hoch.
    »… verlieren wir einen tüchtigen …« Der Polizeipräsident
aus München räusperte sich und setzte erneut an. Er war ein hochgewachsener,
wuchtiger Mann mit breiter Brust. Selbstverständlich trug er Uniform. Er sprach
frei und hatte einen dröhnenden Bass. »… eine sehr tüchtige
und beliebte Führungskraft.« Dabei richtete er den Daumen auf den Sarg neben
ihm.
    Einfache Fichte, kam es Ottakring in den Sinn. Bretter, die die
andere Welt bedeuten.
    »Er hatte keine Chance. Er wurde mitten aus dem Leben gerissen. Und
hatte alles noch vor sich. Das Leben mit seiner Familie, eine glänzende
Karriere. Das weiß
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