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Rosen für eine Leiche (German Edition)

Rosen für eine Leiche (German Edition)

Titel: Rosen für eine Leiche (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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Scheibe sah sie ihren Mann toben. »Pass doch auf, du blöde Kuh«, las sie von
     seinen Lippen. Das Lippenlesen hatte sie gelernt in der Zeit mit ihm. Manchmal
     sprach er den ganzen Tag kein Wort, und sie war froh über jede gehauchte Silbe.
    Eilig verschwand sie im Stall, um mit zitternden Händen den Kühen
     die Melkschläuche anzulegen und den Kälbern über den Kopf zu streichen. Sie
     mochte den warmen Geruch ihrer Leiber.
    Als ob nichts gewesen wäre, räumte ihr Mann den Mist weg und schob
     den Tieren das Futter hin. »Diese verdammte Berufsschule sollte man in die Luft
     sprengen«, rief er ihr zu. »Dauernd sind die Lehrlinge weg.«
    Am Mittag bereitete sie das Essen für ihn, sich und das Madl zu. Es
     gab Fleischpflanzl mit Kartoffelgurkensalat, zum Nachtisch Obstsalat mit Sahne.
     Danach einen Kaffee für ihn. Es war Samstag, der 11. Dezember 1993.
    Der Milliwagen kam und holte die Milch.
    Die Frau hatte noch sieben Stunden zu leben.
    Ihr Mann verbrachte den Nachmittag mit Holzmachen im Freien und
     Maschinenpflegen im Werkstattraum. Sie reinigte die Melkmaschine, bezog mit dem
     Madl die Betten in den Ferienwohnungen und wischte und säuberte. Danach
     wechselten sie in den Vasen den künstlichen Almrausch gegen Kunststoffedelweiß
     und Plastikenzian aus.
    Von vier bis halb sechs wieder Stallarbeit. Die Frau ging ins Haus,
     stellte sich kurz unter die Dusche und begab sich in die Küche. Um halb sieben
     erwartete der Mann das Abendessen. Das Madl bezog solange die Betten in der
     Ostwohnung über dem Bulldogschuppen, stülpte die Bordüren über die
     Stofflampenschirme und zog die Fensterläden zu. Dann schloss sie den PC an. Die Gäste, die morgen kamen, hatten danach
     verlangt.
    »Kannst mir vielleicht helfen?«, brüllte der Mann durch den Flur.
     »Ohne Lehrling bin ich aufgeschmissen.« Er hustete laut. Dann kam ein kaum
     hörbares »Bittschön!«
    Die Frau drehte die Platte mit dem Nudelwasser auf null und rückte
     die Schinkenpfanne vom Herd. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und
     warf einen Blick auf die Küchenuhr. Es war halb sieben.
    »Pack mal mit an!«
    Reifen sollte sie stapeln. Hinten an der Wand vom Bulldogschuppen. Die
     Wand war voll dunkler Dellen und Kratzer, zur Hälfte war der Putz abgesprungen.
    »Dass der Bulldog net andauernd an die Wand hinrennt«, erklärte ihr
     der Mann. »So genau kann i des nie berechnen ohne Einweiser.«
    Der Kofferradio auf dem Sitz neben ihm spielte ein Lied von Niki
     Kirchbichler. »Wie schö-hön die Liab is«, ölte der Sänger. Die Frau wusste,
     dass er auch die Gitarre dazu spielte. Sie blinzelte in das helle Kunstlicht
     unter der hohen Decke. Die Rückscheinwerfer des Traktors waren auf sie gerichtet.
    »Also, du stellst di jetzt vor den Stapel«, schrie er nach hinten
     gebeugt vom Fahrerstand herab. »Und sagst mir genau, wenn i nah genug dran bin.
     Wenn i genau vor dem Reifenstapel steh. Und wo der Bulldog nimmer an die Wand
     hinrennt.«
    Der Motorlärm schluckte seine Worte. Sie hatte Mühe, den Bauern zu
     verstehen.
    Bei jedem Zentimeter, den der riesige grüne Bulldog rückwärts auf
     sie zurollte, verstärkte sich das vage Angstgefühl, die beklemmende Vorahnung
     in ihrem Kopf, verknotete sich ihr Magen. Sie versuchte, den Tumult in ihrem
     Inneren zu dämpfen. Doch sie konnte das Gehirn nicht ausschalten.
    Will er mir was antun? In den vergangenen Tagen hatte sie in einer
     Atmosphäre ständiger Furcht, Bedrohung und Bestürzung gelebt. Sie schlang die
     Arme um den Leib, nicht nur, weil sie fror.
    Ihr Mann stellte einen Fuß auf das Trittbrett des Bulldogs und
     beugte sich zu ihr. »Stell di vor den Stapel«, rief er. »I will sehen,
     ob’s passt.« Dann stieg er wieder hinauf. Seine Gestalt erschien ihr riesig.
     Aber es war sicher nur sein Schatten an der Wand, der ihr Angst machte.
    Sie griff hinter sich. Krallte die Nägel in den obersten Reifen.
     Wozu muss ich mich davorstellen, dachte sie noch.
    Der Motorlärm schwoll bedrohlich an.
    Magda spürte ein Zerren im Schlund und sah verschwommen den Traktor
     näher kommen. Auf sie zu. Sein Schatten an der Wand gegenüber bildete ein
     großes Kreuz. Sie wollte um Hilfe rufen. Sie hätte ja nur ein paar Schritte zur
     Seite machen müssen. Doch sie war wie gelähmt und blieb stehen und reckte die
     Arme dem grünen Ungeheuer entgegen. Als könnte sie es aufhalten. Es war, als ob
     unsichtbare Kräfte eine ganze Wand auf sie zuschoben. Eine Wand,
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