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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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selber, dass sprachliche Gags nicht seine Stärke sind, bei optischen ist er besser.
    »Die Sprache ist bis heute mein Problem. Mir fehlt die Kindheit in Deutschland. Bestimmte Sachen kann man nichtnachholen. Bei ›Wer wird Millionär?‹ würde ich immer an einer der ersten Fragen scheitern, wenn es um Sprichwörter und Redensarten geht.«
    Kerner zeigt einen alten Film, in dem Carrells Vater seinem Sohn die Hand schüttelt. Kesselaar senior war ebenfalls Entertainer, aber nur mit mäßigem Erfolg. Bierzelte. Kindergeburtstage. Mit dem Aufstieg des Sohnes kam er anfangs nicht gut klar. Und wenn er getrunken hatte, dann »wurde er ein Teufel«, sagt Carrell junior. Er selbst vermeidet deshalb, weitgehend, die harten Drinks. Bier muss reichen. Meistens.
    Auf seiner Abschiedstournee durch die Talkshows kommt er auch bei Harald Schmidt vorbei. Schmidt hat eine ganze Sendung als Rudi-Carrell-Hommage inszeniert, mit einem echten »laufenden Band«, auf dem grinsend der echte Rudi Carrell sitzt. Schmidt verehrt Carrell. Vielleicht ist dieser Verehrung Ironie beigemischt, man weiß es nicht genau. Aber etwas davon ist sicher echt, und deshalb weiß Rudi Carrell nicht, was er über Harald Schmidt sagen soll, diesen sonderbaren Fan. Schmidt ist das Gegenteil von ihm, seine Negation – Schmidt tut so, als seien ihm die Quoten egal, er strahlt keine Wärme aus, er hat selten optische Gags, er improvisiert, arbeitet mit Sprache, aus dem Bauch heraus, er macht alles falsch. Vielleicht würde auch Harald Schmidt Schwulenwitze erzählen und mit BHs werfen, aber auch das sicher anders als Rudi Carrell.
    Und Schmidt mit seiner, nach Carrells Maßstab, miesen Quote ist zeitweise zum Säulenheiligen des Entertainments und zu einem führenden Intellektuellen der Republik geworden, zu einem, den man nach seiner Meinung fragt. »Für das Volk ist das nichts«, sagt Carrell vorsichtig. »Ob alle, die sagen, dass sie seine Fans sind, auch seine Sendung kucken?«
    Er wirkt ratlos. Er versteht das nicht. Stefan Raab versteht er noch. Aber warum soll Schmidt wichtig sein? Worauf bezieht sich seine Ironie? Es ist eine neue Epoche.
    Für Carrell arbeiten 20 freie Autoren. Jede Showidee und jeder einzelne Witz ist bei ihm geronnene Arbeit. Sein wichtigster Steinbruch: das riesige Archiv in seinem Anwesen bei Bremen. Nach einer gewissen Zeit kann man nämlich die meisten guten Gags wieder verwenden. Man muss nur lange genug warten. Und wenn gar nichts geht – es gibt eine Million Witzseiten im Internet. Da findest du immer was.
    Carrell hat bemerkenswert lange mit Anke ausgeharrt, seiner zweiten Frau. Susanne, seine Freundin, lebte nur ein paar Kilometer entfernt. Nach dem Tod von Anke hat er sich dann aber doch für etwas völlig Neues entschieden, Simone, eine junge Magdeburgerin. Die Frauen lieben ihn immer noch. Wie gesagt, irgendwas geht immer.
    Jetzt wird er unruhig. Das war’s. Auf Wiedersehen. An der Tür ein Blick auf die Uhr: 60 Minuten. Auf die Sekunde. Wie verabredet. Er ist schon ein Phänomen. Exaktes Timing, auch beim eigenen Abgang. Daran, im richtigen Moment aufzuhören, ist einst sogar der große Kulenkampff gescheitert.
    Sein Lieblingsgag lief in »Verstehen Sie Spaß«. Ein Fan von Borussia Dortmund schaut im Fernsehen ein Spiel seiner Mannschaft. Aber die Fernsehleute haben heimlich den Kommentator ausgetauscht. Der Sprecher –  eine bekannte Stimme – macht alles schlecht, was die Dortmunder tun. An jedem Foul ist ein Dortmunder schuld. Der Fan wird immer wütender. Und verzweifelt schließlich an der Welt. Die dazu passende Carrell-Regel: Schadenfreude funktioniert immer.
    Er hat mal gesagt: Wenn mir keine Gags mehr einfallen, möchte ich sterben.

Der Geschichtenerzähler
    Mein Großvater war Doktor der Tiermedizin. Eine seiner Lieblingsgeschichten handelte davon, wie er zu seinem Titel gekommen ist. Er promovierte, indem er Kaninchen betrunken machte. Einige Monate lang flößte er den Tieren morgens, mittags und abends furchterregende Mengen Rotwein, Absinth und Cognac ein, anschließend schlachtete er sie und untersuchte für seine Doktorarbeit, ob auch ein Stallkaninchen eine Trinkerleber bekommen kann. Und ob! Der Geschmack soll sensationell gewesen sein, vor allem die Cognaclebern. Mein Großvater veranstaltete ein Festessen für seine Kommilitonen, bald darauf reiste er ab. Er hatte sich um eine Tierarztstelle in der entlegensten Ecke von Deutsch-Südwestafrika beworben, am äußersten Ende des Reiches, an
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