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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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Erde stattfinden, auf der die alte Eiche des Katholizismus gekeimt war. In zwei Monaten schrieb er das Buch fertig, das er durch seine Studien über den zeitgenossischen Sozialismus bereits seit einem Jahr unbewußt vorbereitet hatte. Wie eine dichterische Aufwallung war es über ihn gekommen; manchmal schien es ihm, daß er wie im Traum schreibe, und eine innere, ferne Stimme diktirte ihm die Worte. Oft las er dem Vicomte Philibert de la Choue das tags zuvor Geschriebene vor. Der billigte es lebhaft vom praktischen Standpunkte aus, indem er sagte, daß man das Volk rühren müsse, um es leiten zu können. Man müßte auch fromme, aber zugleich unterhaltende Lieder komponiren, die dann in den Werkstätten gesungen werden würden. Was den Monseigneur Bergerot betraf, so war er, ohne das Buch vom Standpunkt des Dogmas zu prüfen, von dem aus jeder Seite desselben wehenden innigen Hauch der Nächstenliebe tief gerührt. Er beging sogar die Unvorsichtigkeit, dem Autor einen Zustimmungsbrief zu schreiben und ihn zu ermächtigen, diesen Brief dem Werke als Vorwort voranzusetzen. Dieses Werk nun, das im Juni erschienen war, hatte die Indexkongregation mit dem Interdikt belegt, und zur Verteidigung dieses Werkes war der junge Priester voll Ueberraschung und Begeisterung nach Rom geeilt. Er brannte vor Verlangen, seiner Ueberzeugung zum Siege zu verhelfen, und war fest entschlossen, sich selbst vor dem heiligen Vater zu verteidigen, denn er war überzeugt, bloß dessen eigene Ideen ausgesprochen zu haben.
    Während Pierre solcherart die drei letzten Jahre durchlebte, hatte er sich nicht von der Stelle gerührt; er stand noch immer neben der Brüstung, vor dem Rom seiner Träume und seiner Sehnsucht. Hinter ihm fuhren immer wieder Wagen vor und plötzlich wieder fort; magere Engländer und schwerfällige Deutsche gingen an ihm vorüber, nachdem sie dem klassischen Ausblick die fünf im Reiseführer vorgemerkten Minuten gewidmet hatten; der Kutscher und das Pferd seines Fiakers harrten gefällig mit gesenkten Köpfen in der Sonne aus, die den auf dem Sitz liegenden Handkoffer erhitzte. Pierre in seiner schwarzen Sutane schien noch schlanker, feiner, zarter geworden zu sein, während er unbeweglich, ganz dem erhabenen Schauspiel hingegeben, dastand. Er war nach Lourdes abgemagert; sein Gesicht war schmäler geworden. Seit seine Mutter wieder den Sieg über ihn davontrug, schien die hohe, gerade Stirn – der geistige Turm, den er seinem Vater verdankte – abzunehmen; der gütige, etwas starke Mund, das zarte, unendlich zärtliche Kinn beherrschten jetzt das Gesicht und verrieten die Seele, die auch in der milden Flamme der Augen brannte.
    Ach, mit wie zärtlichen und feurigen Augen betrachtete er sein Rom, das Rom seines Buches, das neue Rom, von dem er träumte! Wenn ihn anfangs in der etwas verschleierten Milde des wunderbaren Morgens bloß das Gesamtbild gepackt hatte, so vermochte er setzt schon Einzelheiten zu unterscheiden. Mit kindlicher Freude erkannte er alle Monumente; er hatte sie lange genug auf Plänen und in photographischen Sammlungen studirt. Dort, zu seinen Füßen, am Grunde des Janiculus, breitete sich Trastevere aus, das Chaos seiner alten, rötlichen Häuser, deren sonnenverbrannte Dächer den Lauf des Tiber verbargen. Das flache Aussehen der Stadt überraschte ihn etwas. Von der Höhe der Terrasse, aus der Vogelperspektive gesehen, sah sie wie nivellirt aus; die sieben berühmten Hügel bildeten nur schwache Wölbungen, eine fast unmerkliche Schlagwelle in dem breiten Meer der Fassaden, Ja, das da unten, rechts, in dunklem Lila von der bläulichen Ferne der Albanerberge abstechend, das war der Aventin mit seinen drei unter Laubwerk halbversteckten Kirchen. Da war auch der entkrönte Palatin, den eine Reihe von Cypressen wie eine schwarze Franse begrenzte. Dahinter lag der Caelius; man sah von ihm nichts, als die vom Goldstaub der Sonne entfärbten Bäume der Villa Mattei. Gegenüber, ganz in der Ferne, am andern Ende der Stadt, bezeichneten der schlanke Turm und die beiden kleinen Kuppeln von Santa Maria Maggiore den Gipfel des Esquilin. Auf der Spitze des benachbarten Viminal bemerkte er jedoch nichts als ein in Licht gebadetes Gewirre von weißlichen, mit dünnen braunen Streifen durchzogenen Blöcken, etwas wie einen verlassenen Steinbruch; zweifellos waren das Neubauten. Lange spähte er nach dem Kapitol aus, ohne es entdecken zu können. Er suchte sich zu orientiren und redete sich zuletzt ein, daß
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