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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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er ganz deutlich den Campanile sehe, da unten, vor Santa Maria Maggiore, diesen viereckigen Turm, der so bescheiden aussah, daß er sich inmitten der umgebenden Dächer verlor. Links kam dann der Quirinal; er erkannte ihn an der langen Fassade des königlichen Palastes, die der einer Kaserne oder eines Hotels glich, von einem harten Gelb, stach und von unzähligen, regelmäßigen Fenstern durchlöchert. Als er sich jedoch dann vollends umdrehte, ließ ihn ein plötzlicher Anblick erstarren. Vor der Stadt, über den Bäumen des Corsinigartens erschien der Dom von Sankt Peter. Er schien aus dem Grün zu ruhen und sah bei dem reinen, blauen Himmel selbst so zart himmelblau aus, daß er sich mit dem unendlichen Azur vermischte. Die Steinlaterne, die ihn krönt, schien weiß und leuchtend in der Luft zu hängen.
    Pierre konnte sich nicht satt sehen. Seine Blicke schweiften unaufhörlich von einem Ende des Horizontes zum andern. Er betrachtete lange die edlen Zacken, die stolze Anmut der mit Städten besäten Sabiner- und Albanergebirge, deren Gürtel den Horizont abschloß. Kahl und majestätisch, gleich einer toten Wüste, und seegrün wie ein stagnirendes Meer breitete sich die ungeheure römische Campagna aus. Zuletzt unterschied er den niedrigen, runden Turm des Grabes der Cäcilia Metella, hinter dem eine dünne, weiße Linie die antike Via Appia bezeichnete. Trümmer von Wasserleitungen bestreuten den Rasen mit dem Staube zusammengebrochener Welten. Seine Blicke schweiften wieder zurück – und da war wieder die Stadt, das Durcheinander der Gebäude, wie das Auge eben darauf fiel. Hier, ganz in der Nähe erkannte er an der dem Strom zugekehrten Loggia den ungeheuren, rotgelben Würfel des Palastes Farnese. Jene niedrige, kaum sichtbare Kuppel mußte die des Pantheon sein. Dann erkannte er, die Entfernungen mit dem Blick jäh überspringend, die frisch geweißten Mauern von S. Paolo fuori le Mura, die den Mauern einer kolossalen Scheune glichen, dann die Statuen, die S. Giovanni in Laterano krönen. Sie erschienen aus der Ferne winzig, kaum insektengroß. Dann kamen die unzähligen Dome, der von del Gesu, der von S. Carlo, der von S. Andrea Della Valle, der von S. Giovanni de Fiorentini, hernach noch so viele andere, von Erinnerungen erfüllte Gebäude: die Engelsburg mit ihrer funkelnden Statue, die Villa Medici, die die ganze Stadt beherrschte, die Terrasse des Pincio, wo zwischen seltenen Bäumen weiße Marmorgruppen leuchteten, und in der Ferne die tiefen Schatten der Villa Borghese, mit ihren grünen Höhen den Horizont abschließend. Vergebens suchte er das Kolosseum, obwohl ein leichter Nordwind sich erhoben hatte und den Morgennebel zu zerstreuen begann. In der dunstigen Ferne zeichneten sich ganze Stadtteile kräftig ab, gleich Vorgebirgen auf einem sonnenbeschienenen Meer. Da und dort leuchtete zwischen der undeutlichen Masse der Häuser eine weiße Mauer auf; eine Reihe von Fenstern blitzte, ein Garten bildete einen schwarzen Fleck und alles war von überraschender Farbenpracht. Das übrige, das Durcheinander der Straßen, Plätze, der auf allen Seiten zerstreuten, endlosen Häuserinseln vermischte sich und verschwamm in der lebendigen Pracht der Sonne, während von den Dächern hohe, weiße Rauchsäulen aufstiegen und langsam die unendliche Reinheit des Himmels durchzogen.
    Bald aber bewog ein geheimer Instinkt Pierre, sich nur noch für drei Punkte des ungeheuren Horizontes zu interessiren. Die Linie der schlanken Cypressen, die den Gipfel des Palatin schwarz umsäumte, bewegte sein Herz. Dahinter war nichts als der leere Raum; die Paläste der Cäsaren waren verschwunden, zerfallen, die Zeit hatte sie hinweggefegt. Er beschwor sie im Geiste wieder herauf und meinte zu sehen, wie sie sich gleich goldenen Phantomen, vage und zitternd, in das Purpurlicht des herrlichen Morgens erhoben. Dann kehrten seine Blicke wieder zu Sankt Peter zurück. Dieser Dom stand noch und beschützte den Vatikan, der, wie Pierre wußte, daneben dicht an der Flanke des Kolosses ruhte. Er sah so triumphirend, fest und riesig aus, daß er Pierre wie ein Riesenkönig vorkam. Er beherrschte die ganze Stadt, war überall und ewig sichtbar. Dann gingen seine Augen wieder hinüber zu dem andern Berge, dem Quirinal, wo der Palast des Königs stand, der ihm wie eine gewöhnliche, gelbgestrichene Kaserne vorkam. Und die ganze hundertjährige Geschichte Roms, mit ihren fortwährenden Umwälzungen, ihrem wiederholten Aufschwung schien sich
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