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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1
Autoren: Emil Zola
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hervorbrach, riß es beinahe mit sich fort. Noch drohender war das Erwachen des Volkes, des großen Stummen, dessen Zunge sich zu lösen schien. Die Reformation brach los, wie ein Protest der Vernunft und Gerechtigkeit, eine Mahnung an die verkannten Wahrheiten des Evangeliums. Um Rom vor dem vollständigen Verschwinden zu retten, bedurfte es der rauhen Verteidigung der Inquisition, der langsamen, hartnäckigen Arbeit des Konzils von Trient, das das Dogma stärkte und die weltliche Macht befestigte. Damals trat das Papsttum in zwei Jahrhunderte des Friedens und in den Schatten; denn die festen, absoluten Monarchien, die Europa unter sich geteilt hatten, konnten seiner entbehren. Sie zitterten nicht mehr vor dem unschädlich gewordenen Bannstrahl und anerkannten die Päpste nur noch als einen mit gewissen Riten betrauten Zeremonienmeister. Unter den Besitzern des Volkes war das Gleichgewicht verrückt worden: die Könige behielten wohl noch das Volk Gottes, aber der Papst mußte sich darauf beschränken, das Geschenk ein für allemal zu registriren; er hatte sich in die Regierung der Staaten bei keiner Gelegenheit einzumischen. Niemals war Rom der Verwirklichung seines uralten Traumes von der Weltherrschaft ferner gewesen. Und als dann die französische Revolution ausbrach, da konnte man glauben, daß die Verkündigung der Menschenrechte das Papsttum, den Bewahrer des göttlichen Rechtes, das Gott ihm über die Nationen übertragen hatte, töten würde. Was war da auch anfangs im Vatikan eine Angst, ein Zorn, wie verzweifelt wehrte er sich gegen die Idee der Freiheit, gegen dieses neue Credo der befreiten Vernunft und der wieder Herrin ihrer selbst gewordenen Menschheit! Es war eine scheinbare Lösung des langen Kampfes, den Kaiser und Papst um den Besitz des Volkes mit einander geführt hatten. Der Kaiser verschwand, und das Volk, das ihn fortan absetzen konnte, wollte auch dem Papst entschlüpfen. Es war eine unvorgesehene Lösung, und das ganze, uralte Gerüst des Katholizismus schien dabei in Trümmer gehen zu müssen.
    Hiermit beendete Pierre den ersten Teil seines Buches; er schloß, indem er angesichts des gegenwärtigen Katholizismus, welcher der Triumph der Reichen und Mächtigen ist, auf das ursprüngliche Christentum verwies. Jesus war gekommen, um die römische Gesellschaft im Namen der Armen und Einfältigen zu zerstören. Hat das katholische Rom nicht nach Jahrhunderten diese selbe Gesellschaft mit seiner Geld- und Hochmutspolitik neu aufgebaut? Welch traurige Ironie, wenn sich nach achtzehn Jahrhunderten des Evangeliums konstatiren ließ, daß die Welt abermals durch das Agio, durch wurmstichige Banken, durch den finanziellen Krach, durch die furchtbare Ungerechtigkeit, daß ein paar Menschen sich im Reichtum wälzen konnten, während Tausende ihrer Brüder Hungers sterben, dem Zerfalle nahe war! Das ganze Rettungswerk müßte wieder von Anfang an begonnen werden. Pierre sagte diese schrecklichen Dinge mit sanften, mitleidsvollen, so hoffnungsreichen Worten, daß sie ihre revolutionäre Gefährlichkeit verloren. Uebrigens griff er nirgends das Dogma an. Sein Buch war in der sentimentalen Form einer von Nächstenliebe durchglühten Dichtung nichts als der Ruf eines Apostels.
    Dann kam der zweite Teil des Werkes: die Gegenwart, eine Studie der aktuellen katholischen Gesellschaft, hier entwarf Pierre ein furchtbares Bild von dem Elend der Armen, dem Elend einer Großstadt. Er kannte es; sein Herz blutete davon, denn er hatte seine vergifteten Wunden berührt. Die Ungerechtigkeit war nicht mehr erträglich, die Wohlthätigkeit war ohnmächtig, die Leiden so groß, daß im Herzen des Volkes alle Hoffnung starb. Hatte das monströse Schauspiel, das die Christenheit der Welt bot, nicht dazu beigetragen, den Glauben im Volk zu töten? Ihre Greuel verdarben es, erfüllten es mit Haß und Rachelust. Gleich nach diesem Bilde einer verfaulten, in Zerfall begriffenen Gesellschaft knüpfte Pierre wieder an die Geschichte der französischen Revolution an. Die Idee der Freiheit hatte der Welt eine ungeheure Hoffnung eingeflößt. Als das Bürgertum, die große liberale Partei, zur Macht gelangte, nahm es sich vor, endlich alle glücklich zu machen. Aber leider scheint die Freiheit, wie die Erfahrung eines Jahrhunderts zeigt, den Enterbten nicht mehr Glück geschenkt zu haben. Auf dem politischen Gebiet greift die Enttäuschung um sich. Auf jeden Fall steht fest: wenn auch der dritte Stand sich, seit er zur Herrschaft
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