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Roeslein tot

Roeslein tot

Titel: Roeslein tot
Autoren: Marketa Haist
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Freitagvormittag, mit Zeitungspapier und einer Schachtel Streichhölzer in der Hand zum Rosenhaufen pirschen sehe. Der Sepp ist nämlich immer noch nicht wieder aufgetaucht. Und kaum ist die Katze aus dem Haus …
    Der Jens hockt sich mit dem Rücken zu mir an den Haufen, hebt die untersten Stöcke ein bisschen an und schiebt wahrscheinlich zerknülltes Papier darunter. Ich kann es nicht sehen, weil alles von seinem Rücken verdeckt ist. Er zögert kurz. Dann höre ich das Zischen vom Streichholz, und Qualm steigt hoch. Aber keine Flammen. Der Jens flucht wie ein Rohrspatz. Er schmeißt ein Streichholz nach dem anderen in den Haufen, ohne Erfolg. Es hört sogar bald ganz auf zu qualmen. In diesem Augenblick kommt die Anni aus der Gewächshaustür.
    »Wos stinktn do so? Jens? Du werst doch ned de Rosn vom Vatter verbrenna, ohne ean zu frogn? … Woart amoi, do grünt doch wos? Die wern doch ned no austreibn?«
    Schon hockt die Anni neben dem Jens und stochert in dem Haufen herum. Gleich darauf lässt sie einen Schrei los, dass alle Bäume in Reindlfing vom obersten Zweigerl bis zum Kronenansatz erzittern. Sie zerrt an grünem Stoff, bis das Bein vom Sepp zum Vorschein kommt. Dann bleibt sie ein paar Sekunden wie gelähmt hocken. Und dann schreit sie: »Geh! Geh! Geh! «
    Der Jens flüstert kaum hörbar: »Ich habe nichts damit zu tun, ich schwör’s bei allem, was mir heilig ist.«
    Die Anni schreit wieder, dass sich ihre Stimme überschlägt: »Geh fort, i wui di nie wieder seng!«
    Sie starrt wie angewurzelt auf das Bein. Der Jens bleibt eine Weile stehen und verzieht sich dann still in Richtung Haus.
    Als die beiden Polizeiautos und der Leichenwagen vor dem Fahrzeugschuppen parken, verharrt die Anni noch immer in der gleichen Bewegungslosigkeit wie das Bein vom Sepp.
    Gestalten mit und ohne Uniform steigen aus den Fahrzeugen und schwärmen in die ganze Gärtnerei aus. Einer läuft herum und fotografiert. Die Übrigen schnüffeln an allem wie Hunde, die einen guten Platz zum Pinkeln suchen. Ein Grauhaariger in einer etwas abgewetzten leinenen Sommer-Trachtenjacke bleibt neben der Anni stehen, während seine Kollegen vorsichtig die toten Rosen wegräumen, bis der ganze Sepp zum Vorschein kommt. Einer in Schutzkleidung begutachtet ihn von allen Seiten, fingert an ihm herum und sagt: »Vermutlich Schädelbasisbruch. Stumpfer Gegenstand. Todeszeitpunkt etwa dreiundzwanzig Uhr.«
    Nach ein paar Minuten kommt ein junger Kerl im kurzärmligen Karohemd und raunt dem mit der Trachtenjacke zu: »In der Garage liegt eine alte Brechstange auf dem Boden, wie es scheint, klebt Blut daran. Könnte also die Tatwaffe sein.«
    Der Sepp sieht friedlich aus, friedlicher als sonst. Man würde gar nicht meinen, dass er tot ist, wenn nicht kleine dunkelrote Rinnsale aus seinen Nasenlöchern und Ohren über seine weißen Wangen und Schläfen laufen würden. Sein Gesicht erinnert an die weiß-rot gestreiften Petalen der »York and Lancaster«, die in der ersten Beetreihe steht und ihre Blätter erbärmlich hängen lässt, seit sie verstanden hat, was passiert ist. Ein paar ihrer Blüten sind ganz geknickt.
    Einer der Uniformierten malt einen weißen Kranz um den Sepp. Dann bringt man eine Blechwanne, legt ihn hinein, macht den Deckel zu und trägt ihn fort.
    Das war’s also.

Zwei
    Wie konnte so was bloß passieren? Und wieso können mir die Rosen nichts darüber sagen, wie es passiert ist? »Lärm … heute Nacht«, »unverständliches Flüstern … schaurig«, »Schlag … Schleifen … Knistern … Taschenlampe«, »Furchtbar … im Dunkeln«, »Hast du gehört?«, plappern sie alle durcheinander. Mehr ist aus ihnen nicht herauszukriegen.
    » Was soll ich gehört haben? Ihr seht doch, dass ich erst seit dem Morgengrauen wieder höre!«
    Wie bitte? Wundert sich da etwa jemand, dass wir Pflanzen hören und sehen können? Aber selbstverständlich können wir das! Die Schallwellen versetzen unsere Blätter in Schwingung, wodurch wir alles nachvollziehen, was so in der Luft liegt. Sofern wir dort, wo wir verwurzelt sind, den lokalen Dialekt beherrschen. Neulinge tun sich mit dem Reindlfingerischen oft ein wenig schwer. Für uns alteingesessene Pflanzen ist das kein Problem. Wir saugen es mit den Keimblättern auf.
    Weil man zum Hören Blätter braucht, werden Laubbäume taub, wenn sie im Herbst ihr Laub abwerfen. Dann schlafen sie meistens aus lauter Langeweile bis zum Frühjahr durch. Wenn eine Pflanze ihrer Blätter auf andere
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