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Roeslein tot

Roeslein tot

Titel: Roeslein tot
Autoren: Marketa Haist
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Weise beraubt wird, ist es ganz genauso. Das ist mir vor ein paar Tagen passiert, weshalb ich jetzt dieses unsägliche Informationsdefizit zu kompensieren habe. Der Jens hat mich am Montag dermaßen gestutzt, dass kein belaubter Zweig mehr übrig blieb. Zum Glück treiben Holunder wie ich ziemlich schnell wieder aus, aber ein paar Tage dauert es schon, bis sich frische Blättchen entfalten. Bei mir war es heute früh so weit.
    Sehen können wir Pflanzen erfreulicherweise auch ohne Laub. Natürlich haben wir Augen. Doch wozu unsere Augen gut sind, wenn sie gerade keine Knospen treiben, das wissen die Menschen nicht. Sie nennen sie dann »schlafende Augen«, was das genaue Gegenteil vom wahren Sachverhalt ist: Hellwach sehen wir mit unseren »schlafenden Augen« alles, was um uns herum passiert.
    Und wir können sogar noch viel mehr als hören und sehen. Über beträchtliche Entfernungen hinweg senden wir einander chemische Signale zu. Diese Signale treten durch die Stomata, die Spaltöffnungen in der Blattoberfläche, aus und ein. Da es sich dabei um bestimmte Moleküle handelt, werden die chemischen Botschaften von allen Pflanzen weltweit verstanden. Toll, was? Die Molekülwolken übermitteln außer optischen und akustischen Eindrücken übrigens auch Gedanken und Gefühle von einer Pflanze zur anderen. Unsere Kommunikation mit den Menschen klappt leider nicht ganz so reibungslos. Nach einer Million Jahren Koexistenz mit uns Pflanzen haben sie gerade mal das bloße Vorhandensein der chemischen Signale entdeckt. Dass sie unsere Sprache je verstehen werden, halte ich für unwahrscheinlich. Sie können ja nicht einmal ihr eigenes Gekritzel entziffern. Für die Hieroglyphen haben sie anderthalb Jahrtausende gebraucht, und die Zeichen der Induskultur sind ihnen immer noch ein Rätsel. Wir hingegen können die Menschen sehen, hören und verstehen wie unseresgleichen. Viel weiter geht die Wahrnehmung aber leider nicht. Ihr Innenleben macht sich zwar durch die Absonderung von ganz charakteristischen Dünsten bemerkbar, die wir in unsere Blätter einsaugen und sorgfältig analysieren, doch mehr als ihre emotionale Grundstimmung können wir nicht herausfiltern.
    Vielleicht ist es gut, dass die Menschen uns nicht verstehen. Wenn sie ihre Nasen in unsere Kommunikation hineinstecken würden, käme am Schluss sicher genau das gleiche Chaos heraus wie bei ihnen selbst. Manchmal hat man den Eindruck, dass die menschliche Kommunikation hauptsächlich aus Missverständnissen besteht. Das war aber sicher nicht der Grund, warum jemand den Sepp ermordet hat. Wenn er die anderen provozierte, hat er sich meistens ziemlich klar ausgedrückt.

    Leider muss ich sagen: So gut der Sepp mit uns Pflanzen umgehen konnte, so schlecht hielt er es mit seinesgleichen. Friedliebend war er überhaupt nicht. Im Gegenteil: Er brach gern unnötigen Streit vom Gartenzaun, wann immer es ihm gerade einfiel. Da kochte des Öfteren die Wut in seinem Gegenüber hoch. Und diesmal hat die Wut anscheinend bewirkt, was ich immer befürchtet hatte. Wie oft habe ich dem Sepp zugeflüstert, dass er sein Temperament ein bisschen zügeln soll! Aber er hat immer bloß auf seine Rosen gehört.
    Jetzt erst kapiere ich, dass ich meinen alten Gärtner nie wiedersehen werde. Die Anni, die immer noch neben den toten Rosen hockt, fängt leise an zu weinen. Ich könnte mich ihr glatt anschließen, wenn ich Milchsaft zum Absondern hätte.
    Der in der Trachtenjacke hockt sich neben sie und berührt vorsichtig ihren Arm. »Fühlen Sie sich imstande, ein paar Fragen zu beantworten? Wenn nicht, kommen wir später wieder.«
    »Ja … Naa … doch, frogns ruhig.«
    Die Anni und der Polizist stehen auf.
    »Darf ich mich vorstellen? Kriminaloberkommissar Stuhlinger. Und das hier ist Kriminalhauptmeister Wellmann.« Damit meint er den Karierten.
    »Sie sind Anna Schultes, die Tochter des Verstorbenen. Ist das richtig?«
    Die Anni schnieft und nickt verschüchtert. Der Stuhlinger lächelt ihr aufmunternd zu und versucht, sie mit einem Scherzchen lockerer zu stimmen.
    »Also, ich fange mal mit der Klischeefrage an, wie Sie sie aus dem Fernsehkrimi kennen: Hatte Ihr Vater Feinde?«
    Die Anni nimmt das Scherzchen gar nicht wahr. »Wissen’s, mei Vatter wor a bisserl schwierig. Ober die Leit hom gwusst, dess er’s ned so moant. I tat sogn, wirkliche Feinde hatte er ned. I werd’s nia versteng, wia der Jens so was hot toa kenna. Er hot doch ois kriagt bei uns, wos er braucht hot.«
    »Der
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