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Roeslein tot

Roeslein tot

Titel: Roeslein tot
Autoren: Marketa Haist
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Kompostanlage hinausgeht, liegt das Rosenquartier, das Herz der Gärtnerei. Von meiner Position sieht es fast so aus, als stünden die Rosen vor mir Spalier, doch sie sehen mich ganz im Gegenteil eher als einen Bewunderer am Rand ihrer Bühne. Sie bilden sich nämlich mordsmäßig was darauf ein, dass der Sepp ihnen seine ganze Aufmerksamkeit widmet. Er zieht die Unterlagen, er besorgt die Edelreiser, er okuliert, verbindet und päppelt die Rosen, bis sie blühen und duften. Dabei sticht sich der Sepp nie. Denkt er. In Wirklichkeit stechen die Rosen ihn nicht, weil sie ihn lieben. Mit anderen gehen sie nicht so behutsam um. Übrigens haben Rosen keine Dornen, sondern Stacheln, aber das sage ich nur für die Ahnungslosen. Für Pflanzen und Gärtner versteht sich das von selbst.
    In der Gärtnerei vom Sepp sucht man Allerweltssorten, die rote Salatköpfe ohne jeden Duft hervorbringen, den ganzen Sommer blühen, die welken Petalen sauber abwerfen und resistent gegen Mehltau sowie alle sonstigen Schädlinge sind, vergeblich. Da könnte man ja gleich Plastikrosen aufstellen. Der Sepp hat schon alte Rosensorten gesammelt und kultiviert, als sich in der Gegend noch weit und breit kein Mensch außer ihm dafür interessiert hat. Mittlerweile liegt er mit der Zucht dieser Sorten aber voll im Trend. Von weit her kommen die Schickimickis, um sich für ihre Villengärten die derzeit angesagtesten Pflanzen zu besorgen. Bei dieser Gelegenheit versuchen sie oft, sich beim Sepp einzuschleimen, indem sie mit ihm fachsimpeln. Da lässt er sie aber eiskalt abblitzen. Solche Leute waren ihm schon immer aus tiefster Seele zuwider.
    Wenn der Sepp einen Rundgang durch das Rosenquartier macht, versuchen seine Schützlinge, einander durch ihre Attraktivität auszustechen.
    »Er hat mich doppelt so lange angesehen wie dich. Ich bin seine eindeutige Favoritin!«, ruft die rote Rose von Lancaster dann der weißen Rose von York zu. Die lässt das natürlich nicht auf sich sitzen.
    »Dafür hat er mich berührt und dich nicht! Er wollte sich an dir nicht die Finger schmutzig machen.«
    Die weiß-rote »York and Lancaster« am Anfang der Reihe versucht, zu schlichten: »Kinder, vertragt euch, der Sepp liebt uns doch alle, wisst ihr das denn nicht?«
    Dieser Vermittlungsversuch bewirkt jedoch nur, dass die beiden angriffslustigen Stachelgewächse mit vereinten Kräften auf die »York and Lancaster« losgehen.
    Die weiße Rose von York wird noch etwas weißer vor Empörung und stänkert: »Für uns gilt das bestimmt, aber bist du dir wirklich sicher, dass er ausgerechnet dich ebenfalls liebt?«
    Die rote Rose von Lancaster läuft purpurfarben an und keift: »Du nennst uns Kinder? Dabei wurdest du doch nach uns gezüchtet! Ohne uns beide gäbe es dich überhaupt nicht, du solltest wirklich ganz still sein.«
    Als ob der Sepp verstehen könnte, worum es geht, bringt er die zänkischen Damen dann meist durch eine gebieterische Geste zum Verstummen und wendet sich der »Maiden’s Blush« zu, die schüchtern ihre rosarote Knospe senkt. Als Einzige aus dieser Gesellschaft findet sie es eher unangenehm, intensiv begutachtet zu werden. Da läuft ihr immer eine zarte Schamesröte über die Petalen.
    Das Benehmen der »Louise Odier« neben ihr ist das krasse Gegenteil: »Hier! Sepp! Hier bin ich! Schau doch endlich her!«, krakeelt sie hemmungslos. Am liebsten würde sie noch ein Stückchen höher klettern. Sie ist ja eine halbe Kletterrose, nur fehlt ihr das Rankgerüst. Was für ein Jammer! Sie schreit noch lauter. Aber der Sepp zieht nur kurz die Augenbrauen zusammen, und sofort beherrscht sich die »Louise Odier«. Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, dass er der einzige Mensch ist, der die Pflanzensprache versteht. Wie weit dieses Verständnis geht, kann ich allerdings nicht sagen.
    Am Ende der Reihe steht die »Annie Vibert«. Sie weiß, dass sie es nicht nötig hat, sich vorzudrängeln. Sie bekommt immer die volle Aufmerksamkeit vom Sepp. Früher oder später. Deshalb murmelt sie nur leise: »Ich verstehe nicht, warum ihr euch alle so aufregt. Ist schon mal eine zu kurz gekommen?« Dann schließt sie verträumt ihre zartrosa Kelchblätter und wartet geduldig, bis sie dran ist.
    Die »Deuil de Paul Fontaine« dagegen, die ihren Platz in der Reihe kurz vor der »Annie Vibert« hat, jammert: »Immer muss ich so lange warten, bis der Sepp endlich zu mir kommt. Das ist doch wirklich zum Heulen!« Sie lässt trübsinnig ihre karminroten Blütenköpfe
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