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Roeslein tot

Roeslein tot

Titel: Roeslein tot
Autoren: Marketa Haist
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absolvierte, fing der Herr Pfarrer an, in seiner freien Zeit alte Urkunden nachzuzeichnen. Kurz darauf hat er den Buchenwalder am Tag der offenen Türe im Penzberger Stadtarchiv kennengelernt.
    Je weniger fromm die Reindlfinger werden, desto mehr Zeit hat der Herr Pfarrer für seine Urkunden. Er lässt sich aus China Spezialpapier kommen und behandelt es so, dass es aussieht, als sei es mindestens zweihundert Jahre alt. Sogar Pergament besorgt er sich. Auch die Siegel, die am unteren Rand mancher Urkunden hängen, imitiert er so, dass sie wie echt aussehen. Ein richtiger Fachmann würde sich dadurch natürlich nicht täuschen lassen. Das ist ja auch nicht die Absicht vom Herrn Pfarrer. Er arbeitet einzig und allein zum Vergnügen an den »Faksimiles«, wie er sie nennt. Die fertigen Werke lässt er aufwendig rahmen und hängt sie in der Eingangshalle des Pfarrhauses auf. Obwohl die Halle recht geräumig ist, wird der Platz an den Wänden in letzter Zeit allmählich knapp. So fleißig arbeitet der Herr Pfarrer.
    Die Gerti ist von seiner Produktion nicht sonderlich begeistert. Geradezu magisch ziehen die Bilderrahmen den Staub an, vor allem die glänzend schwarz lackierten. Kaum hat man sie abgewedelt, schon tummeln sich darauf neue Flusen. Zum Glück schenkt der Herr Pfarrer aus alter Freundschaft – und um ein wenig Platz zu schaffen – ab und zu dem Anton ein paar der gerahmten Kunstwerke, von denen der Archivar die meisten seinerseits bei entsprechenden Anlässen an Freunde in aller Welt weiterverschenkt. Mit der Billigung des Urhebers natürlich.
    Als der Sepp noch lebte, lästerte er gern über den Buchenwalder, wenn er abends müßig in der Küche saß. Der Weihnachtskaktus, der dort steht, gab das immer brühwarm an die anderen Gärtnereipflanzen weiter. Daher kennt jede von uns die Lebensgeschichte des Archivars, auch wenn dieser selbst gar nicht gern an sie erinnert wird.
    Heute verkehrt der Buchenwalder in internationalen Fachkreisen. Das war nicht immer so. Aufgewachsen ist er mit sechs Geschwistern auf einem ärmlichen Einödhof in der Nähe von Reindlfing. Seine Eltern legten keinerlei Wert auf Bildung, aber zur Volksschule mussten sie ihn wohl oder übel schicken. Dort haben er und der Sepp sich kennengelernt. Der Buchenwalder war der Klassenstreber gewesen, von allen Mitschülern gemieden. Sein ganzes Leben hat er damit verbracht, sich den heimischen Dialekt abzugewöhnen und möglichst viel »Hochkultur« in seinen Kopf hineinzustopfen. Heute tut er so, als würde er sich an seine Kindheit gar nicht mehr erinnern, und hat alle alten Kontakte so gut es geht abgebrochen. Ein studierter Theologe passt seiner Meinung nach besser in seinen Freundeskreis als ein alter Schulkamerad, der ihn früher wegen seines Lerneifers gehänselt hat und bloß Gärtner geworden ist. Einmal hat der Buchenwalder zum Herrn Pfarrer gesagt: »Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass ich diesem Milieu entwachsen bin.« Das hat der Sepp zufällig mitgehört und enorm amüsant gefunden. Als er in der Küche darüber berichtete, ahmte er die betont hochdeutsche Aussprache vom Buchenwalder nach und kugelte sich dabei vor Lachen, wie uns der Weihnachtskaktus sehr lebhaft zu schildern wusste.
    Dass der Sepp und der Buchenwalder einander nicht leiden konnten, wusste das ganze Dorf schon seit ihrer Jugend. Und jetzt noch diese Anschuldigung, von der die Anni der Polizei erzählt hat. Wäre das ein ausreichendes Mordmotiv? Ich denke schon.
    Manche Reindlfinger meinen, das mit den Urkunden sei doch ein komisches Hobby. Andere wenden ein, zu einem »Mann des Buches« würde es doch ganz gut passen. Die meisten von ihnen sind mit ihrem geistlichen Hirten sehr zufrieden. Am Altar macht er eine gute Figur. Er hat eine schöne Singstimme. Und fesch ist er auch, selbst noch in seinem Alter. Nicht, dass es bei einem Pfarrer wichtig gewesen wäre, wie attraktiv er ist, aber schließlich müssen ihn die Kirchenbesucher jeden Sonntag mehr als eine Stunde lang anschauen. Bevor sich die Geheimratsecken immer weiter in seinen Schopf hineingefressen haben, waren besonders seine dichten, gewellten braunen Haare ein Blickfang. Niemand im Dorf hatte je so schöne Haare, außer vielleicht die Anni, die ja ohnehin ein ganz liebreizendes Geschöpf ist. Das hat mir der Olivenbaum mal in einem nostalgischen Anfall erzählt. Ich lebe noch nicht so lange und kenne den Herrn Pfarrer nur mit seinem spärlichen Haarkranz.
    Es ist aber kein Wunder, dass unser Herr
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