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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot
Autoren: Ingrid Noll
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war.
    Wieder saßen wir im Auto. Reinhard sagte nichts. Zwei Straßen weiter merkte ich, daß er zum Reitklub fuhr, was mir erst recht nicht paßte.
    In diesem Augenblick kam uns Silvia in Udos schwerem Wagen entgegen. Durch Hupen und Blinken machte Reinhard auf sich aufmerksam, stieg aus und sprach auf sie ein. Dann fuhren wir im Konvoi wieder los, bis wir zum zweiten Mal vor ihrem Haus parkten.

    Als wir im Wohnzimmer saßen, brachte Silvia ungefragt ein Bier und Kartoffelchips für Reinhard. Mir bot sie nichts an, auch ihr selbst schien der Appetit vergangen zu sein. Sie sah unsere ernsten Gesichter und sagte: »Tut mir leid. Wahrscheinlich bin ich aus Versehen an den Besen gestoßen und habe Anne dabei zu Fall gebracht.«
    »Was heißt hier >aus Versehen    Reinhard, auf den meine blauen Flecken gebührend wirkten, kam mir zu Hilfe. »Was zu weit geht, geht zu weit!« sagte er piepsig.
    Silvia auf der Anklagebank. »Du bist selber schuld«, bezichtigte sie mich, »du arrogantes Biest! Tauchst hier auf, als könntest du kein Wässerchen trüben! Und dabei hast du mir Udo gestohlen, du Flittchen!«
    Das war auch für Reinhard starker Tobak. Es entfuhr ihm ein »Da steppt der Bär!«, bis er sich faßte und fortfuhr: »Neulich hast du mir gesagt, du könntest Annes Romanze mit Udo beweisen. Anne bestreitet das nämlich mit Nachdruck.«
    »Kann ich«, sagte Silvia.
    »Dann tu's doch«, setzte ich einen drauf. Sie wand sich etwas, bis sie verlegen behauptete: »Es steht in seinem Tagebuch.«
    Niemals konnte ich mir vorstellen, daß ein Mensch wie Udo Tagebuch führte. Auch Reinhard schien voller Zweifel. »Dann laß es uns endlich lesen«, befahl er.
    »Das Tagebuch!« forderte ich, und Reinhard nickte bekräftigend.
    »Ich komm' nicht dran«, sagte Silvia kläglich, »es liegt mit Sicherheit im Safe.«
    Also war es ihr bis jetzt nicht gelungen, ihn zu öffnen.
    »Laß dir doch einen Handwerker kommen«, empfahl Reinhard.
    Silvia seufzte, es wäre sicher ganz einfach, wenn man nur die Zahl wüßte.
    Wie unter Hypnose sagte ich: »190965«. Reinhard und Silvia starrten mich an und dachten wohl, wenn mich Udo als einzige in das Mysterium der Codenummer eingeweiht hatte, beweise das klipp und klar unser intimes Verhältnis. Reinhard sprang auf und stellte durch hektisches Drehen meine vorgeschlagene Kombination ein, und schon stand das Geheimfach offen.
    Ich reckte mich, um einen Blick ins Innere zu erhaschen, Silvia streckte die Hand begehrlich aus. Aber Reinhard war näher am Objekt, zudem größer und stärker. Weder Gold, Silber und Diamanten noch Wertpapiere oder Fotos von nackten Mädchen schienen im Tresor zu liegen; das einzige, was Reinhard herauszog, waren ein paar Hundertmarkscheine, ein Ehering und ein Terminkalender, den er eisern an sich preßte.
    »Bevor ich daraus vorlese«, sagte er, ohne auf Silvias Bettelhand zu achten, »will ich von Anne wissen, woher sie diese Zahlen kennt. Silvia hat sämtliche Geburtstage, Haus- und Telefonnummern durchprobiert. Demnach ist es eine Phantasiezahl?«
    »Nein«, sagte ich, »das ist die Telefonnummer von Dr. Bauer.«
    Offenen Mundes starrte mich Silvia an. Dann lief sie zu Udos Schreibtisch und suchte in seinem handgeschriebenen Register nach Dr. Bauers Adresse. »Die Nummer steht nicht drin«, sagte sie verblüfft, »es könnte sein, daß Udo sie auswendig wußte.«
    »Dr. Bauer hat uns erzählt«, berichtete ich, »daß Udo ihn häufig und zu unmöglichen Zeiten anrief. Ich konnte diese Nummer erraten, weil sie eine der wenigen ist, die auch ich im Kopf habe - wer Kinder hat, möchte seinen Hausarzt rasch erreichen können.«
    Ob ein simpler Terminkalender wirklich Auskunft über Udos Liebesleben erteilte? Reinhard setzte sich neben mich aufs Sofa, Silvia stellte sich mit selbstgerechter Miene hinter uns auf, um mitzulesen. Die ersten Monate waren rasch durchgeblättert. Wie ich erwartet hatte, waren geschäftliche, gelegentlich auch private Termine eingetragen, Geburtstage, Einladungen, Steuerfristen, Anrufe, Kritzeleien. »Na, Silvia? Soll das etwa ein Tagebuch sein?« fragte ich triumphierend, hatte mich aber zu früh gefreut, denn schon streckte sie den Zeigefinger aus und rief: »Da, da, da!« Tatsächlich war dort schwarz auf weiß zu
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