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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot
Autoren: Ingrid Noll
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Ringelblumen in kräftigem Orange, blauer Rittersporn und eine robuste Schwester der Königin, eine weiße Wildrose. Vor dunklem Hintergrund leuchten ihre frischen Farben. Die Malerin, deren duftiges Gemälde auf das Jahr 1695 datiert ist, wußte noch nichts von den Rosengärten des neunzehnten Jahrhunderts, wie sie beispielsweise in Malmaison oder Sanssouci zu finden sind. Es gab nur bäuerliche Gärten, in denen außer bodenständigen Obstbäumen auch Gemüse, Kräuter, Gartenblumen und die eine oder andere Rose zu finden waren. Wer aber wie Rachel Ruysch einen Strauß pflücken ging, mußte sich vor den Dornen hüten. Sehr präzise hat sie die bösen Stacheln gemalt, die ein allzu forsches Hinlangen unmöglich machen.
    Da ich meine eigenen Stilleben in Zukunft mit einer winzigen Rose signieren werde, darf ich beim Malen natürlich niemals die Dornen vergessen. Röslein nannte mich mein allererster Liebhaber und bedachte dabei wohl kaum meine stachlige und wehrhafte Seite.

    Allmählich dämmerte es Silvia, daß sie sich in einer höchst prekären Situation befand; von Reinhard war anscheinend kein Beistand zu erwarten. Ihr trotziger Einwurf: »Ihr könnt mir nichts beweisen!« war kein taktisches Meisterstück. Aber leider hatte sie vielleicht recht damit; mir war selbst nicht klar, ob sich bei einer Exhumierung und nachträglichen Obduktion das Gift noch feststellen ließ. Also pokerte ich weiter: »Doch, Silvia, ich habe mich erkundigt. Noch nach Monaten kann man eine derart hohe Digoxin-Konzentration im Körper nachweisen. Du hättest dich für eine Feuerbestattung entscheiden sollen.«
    Wir saßen nicht mehr nebeneinander. Ich war zwar auf dem Sofa geblieben, weil ich jede überflüssige Bewegung vermied, aber Reinhard und Silvia hatten ihre Plätze so weit voneinander entfernt wie möglich eingenommen.
    Mit Genugtuung hörte ich, wie Reinhard seine Geliebte attackierte: »Mit deiner unwahren Beschuldigung hast du unsere Ehe zerstört! Anne hält mich jetzt für einen Mörder. Unter solchen Umständen hat es keinen Sinn, daß ich weiter mit ihr zusammenlebe.«
    So war das also. Auf diese Weise wollte er mich loswerden. Ich gab den schwarzen Peter zurück. »Du kannst ihn dir unter den Nagel reißen, Silvia«, sagte ich, »und wirst viel Freude an ihm haben. Stets gut gelaunt, voller origineller Ideen und mit überschäumendem Temperament ausgestattet! Aber eine Weile werdet ihr euch natürlich gedulden müssen. Bis ihr wieder vereint seid, kann es schätzungsweise noch fünfzehn harte Jahre dauern.«
    Reinhard war humorlos genug, sofort Widerspruch einzulegen: »Ihr denkt wohl, ihr könntet mich meistbietend versteigern. Den Rest meines Lebens werde ich zufrieden im Kloster verbringen.«
    Keiner hätte es erwartet, aber auf einmal fing Silvia mit ihrer steinerweichenden Beichte an. Wir bekamen die ganze Tristesse eines freudlosen Ehelebens zu hören, durch das sich sexuelle Frustration von Anfang an wie ein Leitmotiv hindurchzog. Immer schien Udo hinter jungen Mädchen herzujagen, während sie zu kurz kam. Dabei glaubte Silvia fest, daß es anderen Frauen bereits beim ersten Mal besser erging. »Um ein Beispiel zu nennen«, klagte sie, »früher hast du mir einmal erzählt, wie er dich auf dem Baugerüst...«
    Reinhard wurde dunkelrot und schlug mit der Faust auf den Tisch, wußte aber nicht, was er auf hochdeutsch zu diesem Thema sagen sollte. Ich verspürte beinahe Mitleid.
    Im Grunde hätte ich jede weitere Debatte durch einen energischen Anruf beim Morddezernat unterbinden sollen. Schwerfällig erhob ich mich, denn das Telefon stand nicht in meiner Reichweite. Das Küchenmesser war bereits von der Handtasche in meine Faust gewandert; es war immerhin möglich, daß jetzt ein zweiter Angriff erfolgte. Aber Silvia flehte unter Tränen: »Ruf nicht an! Bitte! Ich will ja alles wieder gutmachen.«
    Das war kaum möglich. Wollte sie Udo wieder auferstehen lassen? Meine Ehe retten? Oder bereitete sie durch bewußte Verzögerung einen tückischen Überfall vor? Die Neugierde ließ mich zaudern. »Laß hören, wie du dir eine Wiedergutmachung vorstellst«, forderte ich und ließ das Messer blitzen.
    »Geld?« fragte sie unsicher.
    »Wieviel?« konterte Reinhard.
    Es gefiel mir nicht, daß er sich einmischte, denn ich hatte jahrelang unter seinem Geiz gelitten. Sogar seine eigene Mutter nannte ihn »Entenklemmer«. Für ihn waren tausend Mark eine enorme Summe, und von Erpressen verstand er rein gar nichts. Ich
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