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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke
Autoren: Ronald Reng
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vergessen. Diesmal schlief er einfach ein.
    Die frühe Dunkelheit des Novembers war hereingebrochen. Teresa schmerzten die Augen, weil sie sich ununterbrochen auf die
     Bundesstraße konzentrieren musste, und auf einmal überkam sie die Wut. Sie sah ihn an. Er sah friedlich aus, unschuldig, in
     seinem Schlaf auf dem Beifahrersitz. »Wie kannst du wütend sein«, sagte sie sich. »Er ist krank.«
     
    Während sie durch das niedersächsische Moor fuhren, wurde er in der Welt des Profifußballs wieder ein Thema. Der Bundestrainer
     hatte am Vormittag das Aufgebot für zwei Länderspiele gegen Chile und die Elfenbeinküste Mitte November bekannt gegeben, und
     Robert Enke war nicht dabei. Joachim Löw hatte bemerken müssen, dass nicht nur Robert, sondern auch René Adler Länderspiele
     häufig verletzt absagte, deshalb wollte er Tim Wiese und Manuel Neuer als eventuelle Alternativen testen. In der Welt des
     Fußballs, immerzu streng unterteilt in Sieger und Verlierer, konnten nur wenige die Nominierung von Wiese und Neuer als schlichten
     Test sehen. Viele unterstellten dem Bundestrainer, die Nichtberücksichtigung sei ein Schlag gegen Enke.
    Robert Enke schossen die Gedanken durch den Kopf – die Klinik ist nicht die Lösung, so weiterzumachen schaffe ich auch nicht
     mehr lange, es bleibt nur noch ein Ausweg –, und gleichzeitig sollte er sich am Freitag nach dem Training vor den Sportreportern
     mit dem üblichen heiligen Ernst den Aufgeregtheiten des Profisports widmen. Es sei mit dem Bundestorwarttrainer abgesprochen,
     dass er diese Länderspiele aussetze, sagte er. Er sollte lieber in Hannover gezielt trainieren, er hatte einen Rückstand aufzuholen.
     »Ich kann damit leben.«
    Weil er so eintönig sprach, interpretierte mancher, dass er ganz sicher traurig, vielleicht sogar wütend über die Nichtberücksichtigung
     war und es nur nicht zeigen wollte. Welche Erleichterung Robert Enke in Wahrheit empfand, nicht wieder zur Nationalelf zu
     müssen, ließ er nur Teresa spüren.
    |414| Nun, da er in Köln einmal gespielt hatte, wurde wie selbstverständlich erwartet, dass er immer weiter spielte. Jörg Neblung
     kam einen Tag vor dem Spiel gegen den Hamburger SV nach Hannover, um ihm zur Seite zu stehen. Er fuhr Robert zum Abschlusstraining.
     Niemand erwähnte noch wie vor einer Woche die Möglichkeit, einen Muskelfaserriss vorzutäuschen. Die Eingeweihten wollten Robert
     Enke das Gefühl vermitteln, es sei völlig selbstverständlich, dass er wieder spiele.
    Am Sonntag um drei am Nachmittag brannte im Stadion schon das Flutlicht, um auf die Dunkelheit vorbereitet zu sein. Der Gang
     vor den Umkleidekabinen erinnerte seit dem Umbau für die Weltmeisterschaft 2006 mehr an ein Kongresszentrum als an einen Sportplatz,
     die Wände waren in frischem Weiß gestrichen, über blitzendem Kunststoffboden leuchteten Halogendeckenstrahler. Die meisten
     Spieler hatten schon Aufstellung genommen, als Robert Enke aus der Kabine kam. Er gab zwei Mitspielern, Steve Cherundolo und
     Sérgio Pinto, im Vorbeigehen einen Klaps. Aus den Augenwinkeln sah er in der Reihe des Gegners Piotr Trochowski, den Kollegen
     aus der Nationalelf. Trochowski wollte ihn mit Handschlag begrüßen und wurde von Robert Enkes Umarmung überrascht. Als hätte
     er Trochowski lange nicht gesehen oder würde ihn lange nicht mehr sehen, legte er in der Umarmung kurz sein Gesicht auf dessen
     Schulter, an dessen Wange. Er trug, wie in seinem ersten Bundesligaspiel vor zehn Jahren, ein schwarzes Trikot, die Lieblingsfarbe
     großer Torhüter.
    Die Mannschaften liefen auf den Platz, ein Meer von Fahnen erhob sich auf den Tribünen, das Spiel war ausverkauft, ein Derby,
     49   000 füllten das Stadion. Teresa durchfuhr es. Er hatte sich seine Haare bis auf wenige Millimeter abrasiert. Er musste es
     vor dem Spiel in der Kabine getan haben. Als erfordere diese Partie eine Kampffrisur.
    »Weiß oder gelb?«, fragte der Schiedsrichter, wieder gewann Robert Enke die Platzwahl, wieder sah er hektisch hinter sich.
     Er hielt den Blick sekundenlang auf die Hamburger Fankurve, als müsse er abschätzen, wie viele Gegner dort standen. Dann hatte
     er sich wieder erinnert, was zu tun war. Wie immer, wenn |415| er die Wahl hatte, spielte er in der zweiten Halbzeit mit den Hannover-Fans im Rücken.
    Das Spiel hatte eine andere Qualität als in Köln. Hamburg kombinierte schnell und ideenreich, nach 15 Minuten fiel schon das
     0:1 nach einem Hamburger Doppelpass im
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