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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke
Autoren: Ronald Reng
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Fußball-Nationalelf, stark, frohen Mutes, glücklich. Es wird der letzte Geburtstag
     sein, den Teresa mit ihm erlebt.
     
    Am Dienstag, den 10. November 2009, ruft er »Hallo, Ela!« aus der Küche, als die Haushälterin um neun Uhr zu ihnen kommt.
     Er gibt seiner zweiten Tochter Leila, die zehn Monate alt ist, einen Kuss auf die Stirn und verabschiedet sich von Teresa.
     An der Magnettafel in der Küche hat er sich mit Filzstift notiert, |10| was noch alles zu erledigen ist, vier Karten für das Bayern-Spiel. Dann ist er aus der Tür. Er habe zweimal Einzeltraining,
     morgens mit dem Fitnesstrainer, nachmittags mit dem Torwarttrainer von Hannover 96, gegen 18 Uhr werde er zurück sein, wie
     immer. Das hat er Teresa gesagt.
    Aber es ist kein Training an diesem Dienstag verabredet.
    Ich erreiche ihn kurz nach halb eins auf seinem Handy im Auto. Ich soll zwei Anfragen ausrichten, ein befreundeter englischer
     Journalist will ihn interviewen, die Deutsche Olympische Sportbibliothek möchte ihn für ihre Jahrestagung im Januar als Gastredner
     gewinnen, Mensch, jetzt bin ich schon dein Sekretär, der dir Anfragen überbringt, will ich scherzen. Doch er ist kurz angebunden
     am Telefon; natürlich, er ist im Auto zwischen den zwei Trainingseinheiten, denke ich, er will sicher zum Mittagessen ins
Espada
oder
Heimweh
, wie immer. »Ich rufe dich heute Abend zurück, Ronnie, okay?«, sagt er, und ich erinnere mich nicht mehr, wie er sich verabschiedet.
    Abends rufen dann nur viele andere Leute bei mir an.
     
    Sein Selbstmord an diesem frischen Herbstabend vereinte Menschen, die ihm nahe waren, und Leute, die seinen Namen nie zuvor
     gehört hatten, in jenem Zustand, wenn man sich innerlich roh, wie aufgerissen fühlt. In den Tagen danach grenzte die Anteilnahme
     oft an Hysterie; dass in London die
Times
Robert Enke die halbe Titelseite widmete, in China das Staatsfernsehen in den Hauptnachrichten berichtete und die Nachrichtenagenturen
     die Zahl der Gäste der Trauerfeier wie Rekorde verkündeten (»So viele wie noch nie in Deutschland seit Bundeskanzler Konrad
     Adenauers Begräbnis«), solche Dimensionen waren nur noch damit zu erklären, dass heutzutage alles, auch der Tod, zum Event
     wird. Im Innersten aber blieb ein echter Schmerz, eine tiefe Lähmung. Robert Enkes Tod offenbarte den meisten von uns, wie
     wenig wir von dieser Krankheit Depression verstehen. Den anderen von uns, und das waren erschreckend viele, wurde schlagartig
     bewusst, wie wenig wir über Depressionen sprechen können. Genau wie Robert Enke hatten sie immer geglaubt, ihre oder |11| die Krankheit eines Familienangehörigen verheimlichen zu müssen.
    Die Fakten stehen regelmäßig in der Zeitung: Mehr Leute sterben jedes Jahr durch Selbstmord wegen Depressionen als bei Autounfällen.
     Aber mehr als eine diffuse Vorstellung, dass für manche Menschen die Traurigkeit zu schwer zu ertragen sei, gaben uns diese
     Zahlen nicht. Und wenn die Schlagzeilen dicker wurden, weil Berühmtheiten wie Marilyn Monroe oder der Schriftsteller Ernest
     Hemingway sich umbrachten, dann schien dies – auch wenn man es nicht laut sagte – doch irgendwie seine Logik zu haben: Künstlern
     traut man das zu. Denn gehört Melancholie, eine düstere Seite, nicht unausweichlich zur Kunst?
    Robert Enke aber war Deutschlands Nummer eins. Der Torwart ist der letzte Halt, ruhig und kalt in den heißesten Situationen,
     imstande, Stress und Ängste in den extremsten Momenten zu kontrollieren. Profisportler wie er leben uns jedes Wochenende wieder
     den Traum vor, alles sei machbar, und Robert Enke schenkte dem Publikum mehr als die meisten Fußballer die Illusion, jedes
     Hindernis sei überwindbar: Er fand mit 29 Jahren noch den Weg ins Tor der Nationalmannschaft, nachdem er nach einer ersten
     Depression vier Jahre zuvor schon arbeitslos gewesen und dann in der Zweiten Liga gestrandet war; ihm und Teresa gelang es,
     nach Laras Tod 2006 ein Leben parallel zum Schmerz zu finden. Und in einem Moment, in dem er nach unseren äußerlichen Wertvorstellungen
     doch das Glück endlich wiederentdeckt hatte, als er eine Familie mit Tochter hatte sowie die Aussicht, bei der Weltmeisterschaft
     in Südafrika im Tor zu stehen, bricht die Depression Anfang August 2009 schlimmer denn je aus.
    Welche Kraft muss diese Krankheit besitzen, wenn sie einen wie ihn in den Trugschluss lockt, der Tod sei eine Lösung? Welche
     Finsternis muss ihn umgeben, wenn ein einfühlsamer Mensch wie er
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