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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke
Autoren: Ronald Reng
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hatte schon glücklichere Tage erlebt. Am 11.
     November 1995 spielte Carl Zeiss bei Hannover 96. Gute Torhüter, heißt es, bräuchten mehr als alles andere Erfahrung, und
     Robert Enke war 18. Trainer Eberhard Vogel stellte ihn erstmals ins Tor.
    Das Beeindruckendste war die Leere im Stadion. 6000 Zuschauer verloren sich auf den 56   000 Plätzen. Da fielen die eigenartigen Flutlichtmasten noch mehr auf. Wie gigantische Zahnbürsten wuchsen sie in den Himmel.
     Es war Fußball, bevor der Sport ein Event, die Volksparty wurde.
    Das Spiel lief, Robert Enke wartete. Hin und her ruckte der Kampf im Mittelfeld, er konzentrierte sich, weil gleich der Gegner
     an seinem Strafraum erscheinen könnte, und dann ging es doch wieder in die andere Richtung. Dann, plötzlich, eine halbe Stunde
     war schon vorbei, ein Kopfball von Hannovers Reinhold Daschner. Auch ein fast leeres Stadion konnte auf einmal laut klingen.
     Robert Enke stand schon genau dort, wo der Kopfball hinflog, und fing ihn sicher.
    |32| Es dauerte nicht einmal zwei Minuten, ehe er nach seiner ersten bemerkenswerten Tat sein erstes Gegentor im Profifußball kassierte.
     Die
Ostthüringer Zeitung
fand recht ungewöhnliche Worte, um ihn in Schutz zu nehmen: »Am 1:0 für Hannover hatte Jenas Verteidiger Dejan Raickovic,
     aber keinesfalls Robert Enke eine Aktie.«
    Es blieb der Kleinkram eines Torwarts zu erledigen, ein paar Eckbälle entschärfen, die Abschläge genau platzieren. Einmal
     entlockte er dem Stadion noch ein Raunen. Er begrub einen Schuss von Kreso Kovacec unter sich. Am Ende stand ein 1:1, ein
     Spiel, dass die Zuschauer bereits zu vergessen begannen, als sie die Stadiontreppen hinausgingen, und ein junger, glücklicher
     Torwart, der beim Gang in die Umkleidekabine noch einmal einen Schrecken bekam. Über ihm donnerte es auf dem Tunneldach aus
     Plexiglas. Sein Vater hing über dem Tribünengeländer und schlug von oben stolz gegen das Dach des Spielereingangs, um ihm
     zu sagen, Mensch, Junge!
    Er würde selbstverständlich im Tor bleiben.
    Am Samstag darauf war seine Mutter mit einer Freundin in die Berge um Jena gefahren. Sie hatten das Radio eingeschaltet. »Mir
     wurde schlecht«, sagt Gisela Enke.
    »Lübeck am rechten Flügel«, rief der Reporter im Radio, »Flanke von Behnert, Enke ist draußen, er hat den Ball – und lässt
     ihn durch die Hände gleiten! Tor für Lübeck! Ein krasser Torwartfehler!«
    Es war in Momenten wie diesem, da sich Andy Meyer bestätigt sah: Der Enkus war das Glückskind. Denn wenn er schon einmal danebengriff,
     was sowieso fast nie vorkam, gewann sein Team prompt, und niemand redete mehr über den Torwartfehler.
    3:1 besiegte Jena den VfB Lübeck.
    Wenn er sich anstrengte, konnte Robert Enke sehen, was Andy meinte: Sein Fehler war unerheblich gewesen. Aber später, viele
     Jahre danach, gestand er, wie er das als junger Torwart wirklich sah: »Ich konnte mir einen Fehler nicht verzeihen.« Die Mitspieler
     sagten, macht nichts, der Trainer sagte, das passiert jedem einmal, nächsten Samstag geht es weiter, natürlich bleibst du
     im Tor, doch »ich hatte die ganze nächste |33| Woche lang den Fehler vor Augen, ich bekam ihn nicht aus dem Kopf«.
    Robert im Tor von CZ Jena bei der deutschen B-Jugendmeisterschaft. [4]
    Er ging die gesamte Woche nicht in die Schule. Er sagte, er sei krank.
    Es ist die Tortur der Torhüter: der unhaltbare Anspruch an sich selbst, fehlerlos zu sein. Vergessen kann keiner von ihnen
     seine Fehler. Aber ein Torwart muss verdrängen können. Ansonsten kommt das nächste Spiel und bricht über ihm zusammen.
    Carl Zeiss musste zum Derby nach Leipzig. Der Vater traf auf der Tribüne eine Bekannte aus alten Leichtathletik-Tagen. Sie
     setzten sich nebeneinander. Sie hielt zum VfB Leipzig, aber in der dritten Spielminute schrie selbst sie mitleidig: »Oh nein!«
    Robert Enke hatte einen Weitschuss aus zwanzig Metern, mit |34| wenig Effet, mit nicht besonders viel Kraft dahinter, unter dem Bauch ins Tor rutschen lassen.
    Ein Torwart muss jetzt so tun, als sei gar nichts passiert.
    In der 34. Spielminute rannte Leipzigs Stürmer Ronny Kujat alleine auf ihn zu. In solchen Momenten scheint das Spiel plötzlich
     in Zeitlupe abzulaufen. Der Torwart registriert jede Fußbewegung des Stürmers, die Zuschauer verharren mit offenen Mündern.
     Der Torwart wartet eingefroren auf den Stürmer, er darf sich jetzt nicht bewegen, wer hier zuerst zieht – er die Hand oder
     der Stürmer den Fuß –,
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