Rivalin der Götter erbin3

seines Fleisches, die mir nach all den Jahrzehnten, all den anderen Gesichtern und meinem schlechten Gedächtnis immer noch vertraut waren. Er schloss die Augen; seine Wimpern strichen über meine Fingerspitzen. Ich erinnerte mich an eine längst vergangene Zeit, vor den Windeln und der Heirat und den Terrassengärten und dem Stadtrat und all den Banalitäten, mit denen ich mich umgeben hatte, als ein Gott seine Wange in meine Handfäche gedrückt hatte. Dieser Moment stand so lebendig vor mir, als sei es gestern gewesen.
    Für ihn war es gestern. Und war das wirklich so schlimm? In seinen Augen war ich nicht einmal alt.
    »Ich darf dich wieder Sonnenschein nennen«, sagte ich sanft. »Oder alles, was ich möchte. Und du darfst dich darüber nicht ärgern. Mach das am besten zu einem Gesetz des Universums. Das kannst du doch jetzt, oder?«
    Etwas verwischte kurz meinen Blick, subtil, aber mächtig, eine nach außen gerichtete Welle der Veränderung.
    Er klang selbstzufrieden. »Diesen kleinen Preis zahle ich gern.«
    Die Spitznamen, die ich mir bereits ausdachte, hatte er noch nicht gehört. Hundert Jahre hatten für ihn vielleicht keine Bedeutung, aber ich war sterblich; wankelmütig, veränderlich, schnell gelangweilt. Hofentlich war er mittlerweile stark genug, um damit umzugehen.
    Ich seufzte, drückte die Klinke hinunter und betrat die Küche. Er folgte mir und schloss die Tür hinter uns. Ich biss mir auf die Unterlippe und lauschte für einen Moment in das Haus hinein.
    Er zog seinen langen Mantel aus und hängte ihn an den Haken hinter der Tür. Wischte sich die Füße ab.
    Etwas, das sich unbewusst in mir verkrampft hatte, wurde sanft und still. Ich machte einen langen, schweren Atemzug. Er hob eine Augenbraue und spürte wahrscheinlich die Bedeutung dieses
Moments. Vielleicht verstand er sie sogar. Mir war es egal, ob es so war oder nicht.
    »Setz dich«, sagte ich und zeigte auf den Tisch. »Du siehst so aus, als könntest du eine gute Mahlzeit vertragen.«
    Mir fiel wieder ein, dass er besser kochte als ich. Aber das war in Ordnung. Einen Tag lang würde ich ihn wie einen Gast behandeln. Morgen konnte er wieder anfangen zu kochen.
    Er setzte sich, während ich zur Vorratskammer ging. Wir begannen noch einmal.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»The Earth and the Sky 03. Kingdom of Gods«
bei Orbit, New York.
     
     
     
     
     
    1. Auflage
Deutsche Erstveröfentlichung Januar 2012
bei Blanvalet, einem Unternehmen der
Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
    Copyright © der Originalausgabe 2012 by N. K. Jemisin
    Published by Arrangement with Nora K. Jemisin
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Redaktion: Werner Bauer
HK · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
     
    eISBN 978-3-641-08345-8
     
     
     
    www.blanvalet.de
    www.randomhouse.de