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Ritus

Ritus

Titel: Ritus
Autoren: Markus Heitz
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fluten.
    »Sagen Sie mir, Severina, warum Ihnen das Bild nicht gefällt. Warum Sie es scheiße finden.«
    Sie trat näher. »Es sieht nicht echt aus. Es steckt nichts dahinter. Schimpansen malen besser.«
    Eric kratzte an der Farbe. Schwarze Bröckchen lösten sich und rieselten auf den geputzten Boden der Halle. »Und wenn es dem Maler nicht um das Bild, sondern um den Akt des Schöpfens ging? Es ist einfach das Resultat der Begegnung von Maler und Plane, schätze ich. So ist er, der abstrakte Expressionismus.« Er tätschelte die Plane. »Aber Sie haben Recht: Das Bild ist scheiße.«
    Unvermittelt packte Eric den Rahmen und hievte ihn aus der Verankerung an der Wand, schleuderte ihn zu Boden und sprang mit beiden Füßen mitten auf das Werk. Er streckte die Hand aus. »Kommen Sie, Severina. Wir schaffen neue Kunst.«
    Zögernd, aber mit vor Aufregung gerötetem Gesicht nahm sie seine Hand und vollführte mit ihm zusammen einen wilden Tanz. Sie lachten, ramponierten die Plane vor den Augen der fassungslosen Vernissagengäste. Severina malte mit ihrem dunkelroten Lippenstift zusätzliche Linien, Eric spuckte darauf. Dann schob er sie vom Bild hinunter und hängte die zerfetzten Überreste wieder in die Halterung.
    »So.«
    Eric nahm Severinas Hand und zog sie ein paar Schritte zurück, um das Produkt ihrer spontanen Zerstörungswut aus einem gebührenden Abstand zu betrachten und die Wirkung zu testen. »Es sieht eindeutig besser aus«, lautete sein Urteil. Er schaute zu ihr. Severina strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht; sie atmete schnell. Auf ihrer Bluse zeichneten sich unter den Brüsten und am Bauch Schweißflecken ab. Ihr ursprünglicher, unverfälschter Frauenduft erregte ihn.
    »Viel besser«, keuchte sie grinsend. »Wie nennen wir es?«
    »Sie sind die Fachfrau. Prägen Sie einen neuen Kunststil.« Eric entdeckte den Galeriebesitzer, der seine Häppchen abgestellt hatte und zusammen mit zwei Sicherheitsleuten auf sie zuging. »Machen Sie schnell!«
    Sie kniete sich vor das Bild, zückte erneut den Lippenstift und schrieb Abstract axpression by S & E auf die geschundene Plane, dann zog er sie in die Höhe und rannte mit ihr Hand in Hand zum Hinterausgang. Eine Sirene heulte los, als er die gesicherte Tür auftrat. Sie stürmten hinaus in die Seitenstraße und wurden von eiskaltem Novemberregen empfangen. Es machte ihnen nichts aus, sie rannten und rannten, bis er sie in den Schutz eines großen Torbogens zog.
    »Gut, wir haben sie abgehängt. Axpression?«, fragte er amüsiert.
    »Kommt von Action und Expressionismus«, erklärte sie ihren Einfall und kicherte wie ein übermütiges Kind, das sich etwas Verbotenes getraut hatte. »Meine Güte, Eric! Wie teuer war das Bild wohl?«
    »Fragen Sie lieber, was es jetzt wert ist.« Er schaute die menschenleere Straße hoch und runter, dann packte er ihren Kopf und drückte einen wilden, verlangenden Kuss auf ihre Lippen. Warm quoll ihr Geruch unter dem Mantel hervor.
    Severina stöhnte auf, schob ihre Zunge in seinen Mund, umfasste ihn und drückte ihn hart an sich. Es war ein surrealer Moment. Sie ließ sich von dem vollkommen Unbekannten verführen, der ihr jetzt den Rock in die Höhe schob und sie zwischen den Beinen berührte. Erregung durchströmte ihren Körper; sie wollte Eric in sich spüren und zeigte es ihm, indem sie seinen Reißverschluss öffnete.
    Sie liebten sich unter dem Torbogen. Eric hatte sie angehoben, Severina schwebte auf seinen Oberschenkeln wie auf einer Schaukel, und jeder Stoß seines Beckens katapultierte sie dem Feuerwerk entgegen. Die Art, wie er sich bewegte und wie er sie berührte, zeigte, dass er ein erfahrener Liebhaber war. Als er ihre Bluse öffnete und leicht in ihre harte linke Brustwarze biss, kam sie zum ersten Mal und schrie unterdrückt gegen seine Schulter. Ihre Sinne befanden sich auf einem Freiflug, sie hörte sogar Melodien.
    Um genau zu sein, war es die Melodie des A-Teams.
    Eric fluchte und glitt aus ihr heraus.
    »Hey!«, beschwerte sie sich keuchend und lehnte sich gegen die Mauer.
    Er lächelte entschuldigend, wühlte in seiner Hosentasche und zog ein Handy hervor. »Ja?« Lauschend zog er sich mit einer Hand das Kondom ab und schloss den Reißverschluss. Severina hatte in ihrer Erregung gar nicht mitbekommen, dass er sich einen Gummi übergestreift hatte. »Gut. – Aber warte auf mich. – Ja, ich bin gleich da.« Er klappte den Deckel zu und verstaute das Telefon. »Entschuldigen Sie. Es ist wichtig.«
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