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Ritus

Ritus

Titel: Ritus
Autoren: Markus Heitz
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Eric lächelte sie an, spielte mit einer feuchten blonden Strähne, die ihr ins Gesicht hing, dann gab er ihr einen Kuss und rannte auf die Straße zurück. »Passen Sie auf sich auf«, rief er und verschwand um die Ecke. Severina lachte ungläubig auf, während sie sich die Bluse zuknöpfte. So etwas war ihr noch nie passiert!
    Und sie fürchtete, dass es ihr auch nie wieder passieren würde.
     
    Eric hetzte fluchend durch die regennassen Straßen und suchte sein Auto. Seine Jagd hatte ihn die Pflicht vergessen lassen, und das geschah leider viel zu oft. Aber Frauen zogen ihn einfach magisch an; er mochte es, sie zu jagen, sie zu lieben und sie danach gleich wieder zu verlassen. Er mochte die intimen Momente ohne das Gefühlsgeplänkel danach mit dem »Sehen wir uns wieder?« oder dem »Gibst du mir deine Nummer?«. Deshalb siezte er sie alle, egal was sie vorher zusammen getan hatten. »Shit! Wo ist …« Er drückte unentwegt auf den Knopf des elektronischen Türöffners, und endlich sah er in zehn Metern Entfernung Blinker aufleuchten. Dort stand der dunkelgrüne Porsche Cayenne in seinem ewig verdreckten Zustand. Eric wusch sein Auto nie. Was der Regen nicht wegspülte, durfte bleiben, wo es war; auch die Dellen und Kratzer im Lack scherten ihn nicht. Das Einzige, was regelmäßig gewartet wurde, waren der Turbomotor und die Bremsen.
    Eric sprang auf den Fahrersitz und startete den Porsche. Rücksichtslos setzte er auf die Fahrbahn und schoss mit quietschenden Reifen davon. Wer glaubte, dass Geländewagen in einer Großstadt unnötig waren, kannte ihn nicht. Seine Aufgabe verlangte Schnelligkeit, und die kürzeste Strecke zwischen A und B blieb – sogar in Großstädten – eine gerade Linie. Stadtparks eigneten sich hervorragend als Abkürzung. Eric hatte sein GPS-Verkehrssystem entsprechend modifiziert. München, London, New York, Moskau: Seine Cayennes und er gelangten immer auf der schnellsten Route ans Ziel, seine mörderischen Fahrten durch die Metropolen wären ideale Werbespots für Hersteller von Geländewagen.
    Der Anrufer hatte ihm eine Adresse und einen Namen genannt: Upuaut. Ein größenwahnsinniges Wandelwesens, das sich sein eigenes Lykopolis errichten wollte. Vor einigen Wochen war es Eric im ägyptischen Sohag knapp entkommen, ohne sein menschliches Gesicht zu zeigen. Hier in München bot sich nun eine zweite Gelegenheit.
    Der Turbolader pfiff, vierhundertfünfzig PS machten das Auto zu einer Rakete, die durch die Münchner Innenstadt zischte, mit einer Neunzig-Grad-Drehung über die Kreuzung schlitterte und mit einhundertsechzig Stundenkilometern auf den Eingang des Englischen Gartens zuhielt.
    Wieder klingelte das Handy. Da es im Augenblick tödlich gewesen wäre, die Hände vom Lenkrad zu nehmen, ertrug Eric das A-Team, ehe das Polyphonkonzert nach zehn Sekunden endete. Zu der Zeit befand sich der Cayenne schon neben dem Chinesischen Turm und rauschte über den Fußweg. Die Xenon-Scheinwerfer rissen einen erschrockenen Spaziergänger aus der Dunkelheit, der seinen kackenden Hund gerade noch an der Leine zur Seite reißen konnte.
    »Pass auf!«, schrie Eric hinter der Scheibe. »Und mach gefälligst den Scheißhaufen weg!« Wütend trat er das Gaspedal bis zum Boden durch, der Motor röhrte auf, und die Profilräder bissen tief in den Rasen.
    Endlich, endlich erreichte er die andere Seite des Parks, schoss auf die asphaltierte Straße, fuhr noch einige Meter weiter und hielt mit einigem Abstand vor dem Haus. Eric streifte die weißen Lackhandschuhe über, stellte das Handy auf Vibrationsruf um, klappte den Beifahrersitz nach vorne und nahm den kleinen schwarzen Koffer hervor. Er öffnete ihn und packte die Sig Sauer P9-Pistole samt Gürtelholster aus, überprüfte das Magazin mit der Glaser-Munition und befestigte sie am Hosenbund. Die Glock-Halbautomatikpistole in seinem Stiefelschaft genügte wahrscheinlich nicht. Sicher war sicher. Eric entschied sich, auch die Bernadelli B4, ein kompaktes, halb automatisches Schrotgewehr, aus ihrem Versteck hinter der Verkleidung der Seitentür zu befreien. Er schob sie unter seinen Mantel und hielt sie mit dem linken Arm an den Körper gepresst, als er ausstieg und sich auf den Eingang zubewegte. Die rechte Hand schwenkte den zur Hälfte aufgeklappten Stadtplan Münchens.
    Die beiden Männer in schwarzen Anzügen vor dem Haus musterten ihn. Beide trugen, was man einen »Knopf im Ohr« nannte, und kamen sich offensichtlich richtig wichtig vor. Manchen
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