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Ritter-Geist

Titel: Ritter-Geist
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sprossen neue Sehnen aus den Knochen hervor und u m wickelten sie. Fleisch bildete sich auf den Oberflächen wie wac h sender Mehltau, umgab Knochen und Sehnen, wurde dicker, wu r de röter. Muskeln entwickelten sich und Organe. Aus dem Skelett wurde ein Kadaver. Wahrscheinlich wurden die Knochen dadurch ausgehöhlt, denn Jordans Talent erzeugte kein Fleisch aus dem Nichts; vielmehr arbeitete es mit der bereits existierenden Su b stanz. Doch schon bald bildete sich eine Hautschicht aus, und da lag sie denn nun – die verhungerte Gestalt, der dünnste Mensch Xanths.
    »Es muß etwas essen«, meinte Jordan das Gespenst. »Es ist zu dünn, um leben zu können. Deshalb ist es immer noch ein toter Mensch.«
    »Warum ißt es denn dann nicht?« fragte Ivy.
    »Tote essen nicht. Es ist immer noch zu schwach dafür.«
    Ivy schritt zu einem nahegelegenen Brotfruchtbaum, pflückte e i nen Laib Brot und entnahm ihm eine Scheibe. Die hielt sie an den beinahe lippenlosen Mund der Gestalt.
    »Lebewohl, Jordan!« rief Renee schwach, und sie hörte sich tra u rig an. Natürlich, es war ja auch ein Abschied, denn nun verließ er die Welt der Gespenster.
    Jetzt atmete der Körper. Der Mund öffnete sich leicht, und Ivy stopfte ihm einen Brocken Brot hinein. Der Mund schloß sich, und langsam begannen die Kiefer zu mahlen.
    So fütterte sie ihm mehrere Stücke Brot, dann auch etwas Obst, und schließlich gewann der Körper immer mehr an Leben. Die eingesunkenen Augen öffneten sich, und einer der Arme zuckte. Schließlich war die Hand so kräftig geworden, daß sie selbst nach einem Stück Brot greifen und es zum Mund führen konnte.
    »Das war es!« rief Jordan. Er schwebte durch die Luft auf die Gestalt zu, wie von einem Vakuum angezogen. Die Gestalt atmete ein – und saugte das Gespenst durch den Mund ein.
    Doch nun wurde es immer später, und Ivy mußte aufs Schloß zurück, zum Abendessen, sonst würden die Erwachsenen mi ß trauisch werden. »Stanley – Wachdienst!« befahl sie dem kleinen Drachen und zeigte auf den kräftiger werdenden Körper. Sie pflückte ein paar weitere Früchte und warf sie zu einem Haufen zusammen, damit der Körper sich davon ernähren konnte. Dann kehrte sie auf Schloß Roogna zurück, wo sie sofort in die Tre t mühle eingespannt wurde, welche die Erwachsenen sich für Ki n der ausgedacht hatten und die daraus bestand, grünes Zeug zu essen, sich die Zähne zu putzen, sich Bilderbücher anzuschauen und schließlich ins Bett zu gehen. Es war ja einfach unmöglich, sich freizumachen und sich um die wirklich wichtigen Dinge auf der Welt zu kümmern. Wütend trat sie nach dem Ungeheuer unter dem Bett, doch das war schlau genug, um sich schmollend gerade außer Reichweite zurückzuziehen.
    Am Morgen kehrte sie als erstes in den Hain zurück. Jordan war verschwunden – doch Stanley kam herbei und führte sie zu dem ehemaligen Gespenst. Jordan der Mensch stand nun auf eigenen Beinen und pflückte selbst Obst. Er war noch immer sehr dünn, doch das Heilelixier und sein Heiltalent, von Ivys eigenem Talent verstärkt, hatten ihn bereits bemerkenswert vollständig wiederhe r gestellt. Nun war er immerhin schon der Schatten seines früheren barbarischen Selbst, hochgewachsen und breitschultrig, mit präc h tiger Mähne und großen Füßen, eine wahre Verkörperung eines attraktiven Mannes. Er schritt gerade von Baum zu Baum, rupfte alle Früchte herunter, die er nur erreichen konnte, und stopfte sie sich, immer noch heißhungrig, in den Mund.
    Ivy klatschte in kindlicher Freude in die Hände. »Jordan, du bist ja wirklich lebendig geworden!« rief sie. Natürlich war er das am Abend auch schon gewesen, doch so dünn und schwach, daß es für sie nicht wirklich dasselbe war.
    »Mph sre m«, stimmte er ihr mit vollem Mund zu. »Abr…«
    »Aber was?«
    Er schluckte das Essen herunter, damit er wenigstens etwas deutlicher sprechen konnte. »Aber Renee nicht.«
    Ivy blickte sich um und erspähte das weibliche Gespenst, das am Rand des Gesichtsfelds schwebte. »Das stimmt. Ich schätze, jetzt fehlt sie dir.«
    »Ich bin froh für Jordan«, meinte Renee schwach. »Jetzt kann er sein wirkliches Leben zu Ende führen. Ich werde mich jetzt aufl ö sen.«
    »Nein!« rief Jordan. »Ich liebe dich, Renee. Wenn Lebendigwe r den bedeutet, daß ich dich verlieren muß, werde ich lieber wieder zum Gespenst!« Er warf einen Blick zurück zu dem Schirmbaum, wo noch immer das Schwert des Ritters lag. Er schritt darauf
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