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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
Autoren: Jockel Tschiersch
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er zur A rbeit ging. Ewald nahm den schwarzen Koffer, der neben dem Bett stand.
    »Ja, nimm’s nur mit, des blöde T rum! Und mach mir bloß koi Schand!«
    Ewald wusste, dass er seiner Mutter heute bestimmt keine Schande machen würde, als er die schmale Holztreppe hinunterging und sein Fahrrad aus der Scheune holte.
    Er radelte den staubigen Feldweg entlang, der vom Grenis-Hügel in Richtung Dorf führte. Sein Staiger-Damenrad hatte mindestens schon so viele Jahre auf dem Buckel wie er selbst. W obei Ewalds A lter wie das seiner Mutter auch schwer zu schätzen war: Es konnte irgendwo zwischen dreißig und fünfzig liegen. Sein Haar war kurz geschnitten, sein Gesicht hatte die gesunde Röte eines Landbewohners, der viel Zeit an der frischen Luft verbringt. W ie ein Intellektueller sah er nicht aus, aber seine A ugen waren blau wie der Elenschwander See, und aus ihnen konnte schon mal der Schalk blitzen wie ein Springteufelchen auf der Durchreise. Sein Körper war kräftig, ein wenig gedrungen, auf dem breiten Rücken hatte er, wie einen Rucksack, seinen schwarzen abgeschundenen A kkordeon-Koffer festgeschnallt. Mit wohldosierter Energie trat er in die Pedale wie ein sturer A llgäuer Bock eben, der weiß, wo er hinwill.
    Ewald hatte die Motorhaube hochgeklappt, kniete neben der Maschine und hörte genau auf den Klang der einzelnen Zylinder. Die V entile machten keine übermäßigen Geräusche, allein die Leerlaufdrehzahl war ein wenig hoch.
    »So schnell brauchst du gar nicht laufen, gell.«
    Manchmal sprach Ewald ein paar W orte zu seinem Dieselmotor, aber er konnte ihm auch stundenlang zuhören, es lag etwas Beruhigendes und Friedliches im Klang des A ggregats, er mochte den Geruch des heißen Öls. Das schmeckte nach Leben und Maschine, fast ein bissel wie der Schweiß bei einem, der richtig viel geschafft hat. Ewalds Fiat-Allis FL 10 C mit der 3,4-Liter -V ierzylinder-Dieselmaschine mit 125 PS war noch eine alte Planierraupe ohne technischen Schnickschnack, ohne Kunststoffverkleidungen, ohne Display-Anzeigen und ohne das nervtötende Gepiepse beim Rückwärtsfahren. Und vor allem hatte die FL 10 C keinen dieser neumodischen Joysticks, sie war noch mit zwei Hebeln zu steuern wie früher. Da musste man schon mal ordentlich zulangen, aber Ewald mochte die haptische Ehrlichkeit des Gerätes viel lieber als diese modernen Sesselfurzer-Raupen, die auch seine Mutter hätte fahren können, wenn sie nur einer auf den Fahrersitz gehoben hätte.
    So ein Schmarren wie »haptische Ehrlichkeit« wäre dem Ewald natürlich nie und nimmer in den Sinn gekommen, überhaupt war er nicht gerade ein V erschwender der W orte, er überlegte schon oft dreimal, bevor er etwas sagte. Oder lieber doch nichts sagte, statt einen Mist daherzureden, nur damit etwas gesagt wäre.
    Bei ihm daheim hatte man nicht viel geredet, sein V ater war schon weg gewesen, bevor der Ewald irgendetwas hätte sagen können. Und genau dazu hatte Ewalds Mutter auch nichts gesagt, ihr Leben lang. Sie hatte genug zu tun, die kleine Landwirtschaft zu betreiben, die ihre Eltern ihr überlassen hatten, und nach dem T od von Ewalds Großeltern war es noch schwieriger geworden. Ewald hatte schon früh auf dem Hof helfen müssen, und statt im Kindergarten »Fangis« zu spielen wie die anderen, hatte er daheim auf dem Hof mit der Heugabel herumgetobt. V ier Stück Milchvieh waren nicht viel, aber sie wollten versorgt sein. Dazu kam ein wenig Obstbau. Und weil der mütterliche Einsiedler-Hof höllisch weit draußen lag, hinter dem Hügel von Grenis, im T al beim W eissach-Bächlein, hatte Ewald kaum Spielkameraden. In der Schule hatten die anderen bald gemerkt, dass der Ewald ein bissle anders war, und wer im A llgäu ein bissle anders war, der wurde gehänselt.
    »Aus’m W ald, da kommt ein Dicker,
    das ist der blöde Ewald Fricker,
    der sei’ Milch im Saustall trinkt,
    und allerweil nach Kuhstall stinkt!«
    Irgendjemanden brauchte man zum Hänseln, A usländer gab es damals noch nicht, zumindest nicht in der Dorfschule in Ratzisried. Den Ewald hatten die Hänseleien nicht gestört, er hatte die T rietzereien an sich abprallen lassen, denn um halb eins am Mittag musste er sich ohnehin wieder auf den halbstündigen Fußmarsch zum mütterlichen Grenis-Hof machen. Bis dorthin hatten sich die Schulkameraden selten getraut, die Eltern hatten ihnen eingebleut, da gehe man nicht hin, was ja eigentlich ein Grund gewesen wäre, erst recht hinzugehen. Ein bisschen A ngst vor
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