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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition)
Autoren: Thea Dorn
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pochenden Schläfen.
     
    Aus dem verebbenden Applaus erhob sich eine zierliche Gestalt. Mit drei geschmeidigen Schritten erklomm Benito Bellini den erhöhten Rednerplatz. Ein letztes Mal lockerte der Generalmusikdirektor und künstlerische Intendant der Oper Frankfurt die Muskeln. Ruhegebietend hob er die Arme. Es wareine bloße genealogische Laune, die ihn zum Urahn des italienischen Belcantokomponisten gemacht hatte. Der musikalischen Sache nach verband ihn mit Vincenzo nichts. Benito Bellini legte seine Leichtfüßigkeit ab, sobald erdie Pforten zur Kunst aufstieß. Den Tempel betrat er in Bleischuhen.
    »Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Freunde! « Getragen begann der Dirigent den Eröffnungssatz. »Sie alle wissen, welch schwierige Jahre hinter mir, hinter uns liegen. Sie alle haben es schmerzlich erlebt. Als ichmeine Arbeit an diesem Haus aufnahm, stand ich voreiner Ruine. Ich kam, um Musik, um Operzu gestalten, und sah rauchende Trümmer. Für viele Jahre war unser Ensemble ohne feste Heimat, wirmußten an miserablen Ausweichorten spielen, einen Monat hier, den nächsten dort. Wir haben gelebt wie ein erbärmlicher Wanderzirkus.«
    Die Last der Erinnerung senkte sich auf das edle
Haupt. Eine immernoch schwarze Locke fiel ihm in die Stirn. Er verlagerte sein Gewicht. Mit freien Kadenzen schwang er sich ins Allgemein-Ideelle empor. »Was aber ist ein Opernhaus, wenn nicht ein vibrierender, tönender Organismus«, fragte er sinnend. »Was, wenn nicht ein sensibles Musikinstrument, das außer Liebe vor allen Dingen Geborgenheit braucht, um ungestört erklingen zu können? Das Wunder harmonischen Zusammenwirkens geschieht nicht auf der Straße. Wie eine erlesene Geige an widrigen Orten sich verstimmt, so leidet auch der empfindliche Körper eines Opernensembles, wenn es aus seiner sicheren Heimstatt vertrieben wird.«
    Mitausholender Geste leitete der Dirigent das spekulative Zwischenspiel in strahlendes Allegro über. »Nun endlich kehrt unser teures Instrument an seinen geschützten Platz zurück, wo allein sein ewiger Zauber sich entfalten kann! Endlich ist unser Haus wiedererrichtet, hat sich erhoben wie Fenice aus der Asche!« Er blickte lange in die Runde. »Und es war mirvon Anfang an klar, daß ein so großes Ereignis, daß die Wiedereröffnung unserer Oper nur mit einem einzigen Werk gefeiert werden kann. Mit dem Werk, das vor uns das ewige Drama der Menschheit ausbreitet, das Liebe und Tod, Hoffnung und Haß, Macht und Ohnmacht, Verzweiflung und Erlösung in Töne gebannt hat wie kein zweites. Mit dem Werk, das in jeder Faser aus Schicksal gewoben ist – und das vor Jahren selbst – hier an diesem Ort – einem so bitteren Schicksal erliegen mußte. Ich brauche Ihnen weiter nichts zu sagen. Sie alle wissen, wovon ich rede. – Der Ring und dieses Haus, dieses Haus und der Ring – gemeinsam sind sie untergegangen,
gemeinsam werden sie auferstehen in neuem Glanz.«
    Der Generalmusikdirektor drosselte das Tempo und dämpfte die Lautstärke. »Dabei werde ich nie vergessen, welche Verantwortung ich auf mich nehme, indem ich zu vollenden wage, was meinem unglücklichen Vorgänger auf so tragische Weise entrissen wurde. Ich bin mir bewußt, welch schweres, aber auch unendlich reiches Erbe ich heute antrete. Ich verspreche Ihnen und ihm, diesem großen Musiker und Künstler, daß ich alles tun werde, um die Arbeit, die er begonnen hat, zu einem guten Ende zu führen, um das bittere Scheitern in leuchtenden Erfolg zu verwandeln.«
    Der Dirigent hielt schweigend die Spannung. Zur Schlußkadenz wandte er sich an den versunkenen Regisseur. »Herr Raven! Haben Sie meinen ganz persönlichen Dank, daß Sie bereit waren, ein zweites Mal nach Frankfurt zu kommen und uns mit Ihrer wunderbaren Inszenierung zu beschenken. Mille, millegrazie! Mögen die langen Zeitender Diaspora fürunsere Operbeendet sein!«
    Die versammelten Ensemblemitglieder stimmten eine Kakophonie an, die das beschworene Wunder harmonischen Zusammenwirkens in weite Fernerückte.

2
    Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wallala weia! Wagala weiala weia!
    Elisabeth Raven-Winterfeld hielt in ihren gleichmäßigen Bügelbewegungen inne. Sorgfältig stellte die
Sängerin das heiße Eisen zur Seite und schaute in den Klavierauszug, der auf dem wachstuchbedeckten Küchentisch lag. Als erfahrene Plätterin wußte sie, daß man Textfehler ausbessern mußte, bevor sie im Gedächtnis eingebügelt waren.
    Tatsächlich hatte sich eine kleine
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