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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition)
Autoren: Thea Dorn
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über mein Inszenierungs konzept zu verlieren«, floh er hastig in seine Rede zurück. »Ich will Ihnen nur einige Grundgedanken erklären. Alles weitere müssen wir dann in den nächsten Wochen Szene für Szene gemeinsam wieder erschließen.«
    Der Regisseur, der sein eigener Bühnenbildner war, klammerte sich an den offenen Kasten neben ihm. »Die Kulissen sind nahezu unverändert«, begann er steif. »Diejenigen unter Ihnen, die damals schon dabei waren, werden sich erinnern. Wie Sie im Modell sehen, haben wir die Basis-Idee beibehalten.« Er holte Luft zu neuem Schwung. »Der gesamte Ring spielt an drei zusammenhängenden Grundorten. Denn wir haben es hier ja nicht einfach mit vier Opern oder Dramen zu tun. Der Ring ist ein geschlossenes System, ein totaler Weltentwurf. Wagners Universum funktioniert wie ein Räderwerk. Jedes Teil steht unter der Herrschaft des Ganzen. Aber damit steht auch das Ganze
unter der Herrschaft des Einzelnen. Um das hermetische Gefüge zum Einsturz zu bringen, genügt es, daß ein Rädchen herausspringt.« Er pochte auf den Sperrholzkasten. »Diese Dialektik, diesen immanenten Vernichtungsprozeß, den der Ring exekutiert, müssen wir auch im Bühnenbild zeigen. Deshalb haben wir alle Orte auf drei Grundkonstellationen reduziert. Es ist dreimal dieselbe Welt, oder besser gesagt: Es sind drei verschiedene Blickwinkel auf denselben Mechanismus – den wir dann von Szene zu Szene stärker zerfallen lassen. Mit dem Drama schreitet die Zerstörung voran. Bis hin zur vollständigen Auslöschung, zum abschließenden Weltenbrand.«
    Der Regisseur wischte sich die Stirn. Nervöse Flekken marmorierten die Haut über den angestrengten Wangenknochen. Der Eiszapfen in seinem Innern widerstand der Hitze, in die er sich geredet hatte. Er legte seine Hand auf die kühle Aluglatze des Modells. »Dies ist die erste Konstellation. Der Erde Rücken, wie es nachher in der Wissens-Wette von Wotan und Mime heißt. Auf dieser Krümmung müssen die Menschen, die Wälsungen und Gibichungen, ums Überleben kämpfen. Der Himmel mit seinen Planeten hängt in weiter Ferne. Wir werden gleich sehen, welche Beziehung zwischen diesen beiden Sphären besteht.« Er drehte den Kasten. »Doch kommen wir zunächst zur zweiten Konstellation. Die Nacht- und Schattenwesen erleben die Erdwölbung von innen, als gewaltigen, schwarzen Hohlraum. Das sind zunächst einmal die Nibelungen, aber auch die Rheintöchter sind im Grunde unterirdische Gestalten – im Bauch der Erde gärende Natur. Wenn der Nibelung, wenn Alberich ihnen das
Gold raubt, vergreift sich kein Fremder an etwas Fremdem. Es ist die Selbstentzweiung der unmittelbaren, der differenz losen Natur.«
    Metallische Blasen schimmerten in der dritten Kammer des futuristisch-tristen Puppenhauses. Fieberhaft redete Alexander Raven weiter. » Auf wolkigen Höhen wohnen die Götter – so sagt Wotan. Doch die Romantik dieser Beschreibung lügt. Und das weiß er selbst. Die Sphäre der Götter ist in Wahrheit eine eisige, starre Welt der Konventionen und Gesetze. Die Kälte, unter der die Erde erstarrt, strömt von diesen Planeten aus. Deshalb will Wotan den neuen Menschen schaffen – einen Menschen, der die abstrakte Götterwelt mit der brodelnden Natur versöhnt. Doch sein Heilsplan geht nicht auf. Der neue Mensch wird zwischen der über-und der unterirdischen, zwischen der kalten und der heißen Macht zermahlen. Sein Experiment scheitert. Die beiden Mächte lassen sich nicht versöhnen. Im Gegenteil. Die Vernichtung wird beschleunigt. Der gespaltene Kosmos implodiert.«
    Der Regisseur fuhr sich mit der Hand an den Hals. Kalter Schweiß stand in seinem Hemdkragen. Die schwarzhaarige Frau blätterte in ihrem Kalender. Der Regisseur senkte den Blick. Er verlor sich in dem Gewirr dunkler Streifen, das seine Schuhe auf dem Holzpodest hinterlassen hatten.
    »Ich hoffe, es ist ungefähr deutlich geworden, worauf es mir ankommt.« Das Feuer in seiner Rede war erloschen. Erschöpft sog er den Atem zum abschließenden Höflichkeitsakt ein. »Ich möchte Ihnen danken, daß Sie mireinezweite Chance gegeben haben, den Ring hier, mit Ihnen, zu inszenieren. Ich bin sicher, es wird eine
spannende Zeit werden. Ich freue mich darauf. Haben Sie herzlichen Dank.«
    Fünfzig Händepaare klatschten. Wenige frenetisch, manche höflich, die meisten pro forma.
    Alexander Raven zwang ein Lächeln in sein Gesicht. Er trat vom Bühnenpodest herunter, sank auf einen Stuhl und faßte sich an die
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