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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied
Autoren: P Grote
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war.
    Was wusste er von der Entwicklung der letzten Tage? Wusste er, dass er für andere zum Problem geworden war? Für Johanna war es das Zeichen, aufzustehen und den Professor das, was ihn dem Anschein nach belasten würde, selbst wegräumen zu lassen. »Na, wenn das so ist – wenn Sie mich nicht mehr brauchen – dann   ... ja, nichts für ungut, Herr Dr.   Marquardt. Ich möchte Ihnen nicht die Zeit stehlen. Guten Tag.«
    »So war das nicht gemeint, Frau Kollegin   ...« Marquardt wischte sich den Schweiß von der Stirn, sein Gesicht war rot angelaufen, als hätte er viel zu hohen Blutdruck.
    Carl hatte Johannas Zeichensprache richtig gedeutet und war direkt zu seinem Wagen gegangen, er wartete, bis sie eingestiegen war, um Marquardt zu folgen. Der Professor fuhr zur Brentanostraße, stieg aus, ließ den Karton mit den Unterlagen im Kofferraum und ging direkt ins Gebäude. Nach kaum fünf Minuten kam er mit einem Rechner unter dem Arm zurück, den er zu den Akten in den Kofferraum stellte. Dann fuhr er durchs Zentrum, auf der Rüdesheimer Straße an der Villa Monrepos vorbei und über den Kreisverkehr geradeaus nach Rüdesheim. Dort war es schwierig, ihm zu folgen, ohne entdeckt zu werden, sie mussten Abstand halten, aber Marquardts Lexus fiel auf. Sie quälten sich in Kolonne an der Uferstraße entlang bis zur Wartezone für die Fähre.
    |375| »Ich hasse diese Fähren.« Johanna verzog das Gesicht, als sei ihr übel. »Ist das jetzt die Radikaltherapie gegen meine Fährphobie? Was will der Kerl da drüben? Über die Autobahn kommt er schneller nach Mainz. Oder will er den Kram zu Waller ins Büro bringen – oder nach Mannheim zu Stern?«
    Dass Marquardt so schnell das Weite suchte, bedeutete Carls Ansicht nach, dass ihn jemand gewarnt hatte.
    Johanna hielt es für ausgeschlossen, dass es Waller gewesen sein konnte, höchstens Stern. »Und der kann das nur von der Staatsanwaltschaft oder von jemandem aus dem Polizeipräsidium wissen.«
    »Was ist mit dem Anwalt, dem Starverteidiger? Er scheint mir, nach allem, was du mir über ihn erzählt hast, gewieft genug, um den Hals aus der Schlinge zu ziehen. Wenn in Wiesbaden was durchgesickert ist, hat man ihm das gesteckt, und er hat’s weitergegeben.«
    »Der gewiefteste von allen ist Stern, du wirst es erleben.«
    Die Fähre kam näher, drehte langsam gegen die Strömung. Der Fluss kümmert sich wenig um das, was die Menschen an den Ufern treiben, dachte Johanna. Er ist wie immer an diesen warmen und hellen Tagen, er lächelt, er strahlt, obwohl sie ihn zerfurchen, aufwühlen, Abfälle hineinschütten, ihm einen Teil des Wassers für ihre Zwecke entnehmen, und Johanna dachte daran, welche Kriege in den Jahrtausenden an seinen Ufern geführt worden waren, weitaus bedeutendere Kriege als ihr Kleinkrieg, den sie gerade ausfochten. Sie hatte Vertrauen zu dem Strom, weitaus mehr als zu den Menschen in den Autos, die ihnen von der Fähre entgegenkamen, und denen, die neben ihnen warteten. Wenn sie an Typen wie diesen Stern dachte, der den Sohn dem Gott seiner Aktienkurse opferte, wie Abraham den Isaak, wurde ihr angst. Aber es gab auch Beispiele von Mut und von Freundschaft, und dass sie etwas wie eine Perspektive überhaupt wieder in Erwägung zog, verdankte sie Thomas.
    Mit Carls Telefon rief sie ihn an und erklärte ihm, wo sie |376| sich befanden und dass Marquardt sich mitsamt seiner Geschäftsunterlagen absetzen wollte.
    »Bleib auf jeden Fall an ihm dran.« Thomas gab ihr die Rufnummer des Staatsanwalts. »Altmann schreibt ihn zur Fahndung aus. Ich informiere alle, auch die Kripo, aber ruf du auch bei ihm an. Das zieht mehr, mich ertragen sie überhaupt nicht mehr.«
    Carl ließ den Wagen an. »Es geht los, wir fahren weiter.«
    Die vor ihnen stehenden Wagen rollten die Rampe hinab, auch Marquardt war dabei, jetzt kam der schlimmste Moment auf Johanna zu, doch dann schaltete die Ampel vor ihnen auf Rot, und sie mussten halten. Die Fähre war voll.
    Johanna riss die Wagentür auf. »Ich muss auf jeden Fall an ihm dranbleiben, irgendwas fällt mir ein.«
    Carl war entsetzt. »Du bist nicht zu retten. Der schmeißt dich ins Wasser.«
    »Schwimmen kann ich besser als der«, rief sie, rannte los und war mit einem Satz auf der Fähre, eine Sekunde, bevor sie ablegte, zum Entsetzen der Ausflügler und der Radfahrer, zwischen denen sie untertauchte.
    Maquardts Wagen stand ziemlich weit hinten in der äußeren Reihe. Geduckt schlängelte sich Johanna weiter nach vorn,
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