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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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ziemlich lange fort. Was sagte sie, Herr?«
    Der Richter wischte sich den Schweiß von der Stirn und schwang sich auf sein Pferd. Er murmelte:
    »Es war niemand da.« Indem er die frische Morgenluft tief einatmete, setzte er hinzu: »Ich durchsuchte ihre Hütte gründlich, fand jedoch nichts. Mein Verdacht erwies sich als falsch. Los, reiten wir zur Herberge zurück.«
    Während sie das buschige Ödland durchritten, wies Ma Jung plötzlich mit seiner Reitpeitsche nach vorn und rief:
    »Seht den dicken Rauch da drüben, Herr! Man hat mit dem Niederbrennen der Altäre begonnen. Das Totenfest ist zu Ende!«
    Der Richter starrte zu den dichten Rauchschwaden hin, die sich schwärzlich hinter den Dächern zusammenballten.
    »Ja«, sagte er, »die Pforten des Jenseits sind geschlossen.« Geschlossen, dachte er, hinter den Geistern der Vergangenheit. Dreißig Jahre lang hatten die Schatten dieser einen Nacht im Roten Pavillon dagestanden, das Leben der Lebenden verdüsternd. Und jetzt endlich, nach dreißig endlos langen Jahren, waren sie zurückgewichen in jene dumpfe, übelriechende Hütte. Dort hatten sie sich neben einen toten Mann und eine sterbende Frau hingekauert. Bald würden sie aufgelöst, auf immer verschwunden sein und niemals wiederkehren.
    Als sie in der Herberge zur »Ewigen Wonne« wieder angekommen waren, bestellte Richter Di beim Wirt die Rechnung. Dem Pferdeknecht befahl er, die Tiere zu tränken und, zu füttern. Dann ging er mit Ma Jung hinüber zum Roten Pavillon.
    Während Ma Jung die Satteltaschen packte, setzte sich der Richter nieder und überlas nochmals seinen Bericht über den Selbstmord des Akademikers, den er am Abend zuvor aufgesetzt hatte. Er schrieb seine Schlußfolgerungen und ein Nachwort zum Ableben von Herbstmond hinzu. Sein Urteil lautete, daß sie nach allzu reichlichem Alkoholgenuß einem Herzanfall erlegen war.
    Hierauf schrieb er einen kurzen Brief an Feng Dai, der die Feststellung enthielt, daß ein und derselbe Mann sowohl Tau Kwang wie Herbstmond ermordet habe, daß der Verbrecher aber gestorben sei, weshalb diese Angelegenheiten am besten als erledigt betrachtet werden könnten. Zusammenfassend schrieb er: »Ich habe erfahren, daß Dr. Li Wee-tsching, der im letzten Stadium der Leprosie geistesgestört war, die Gegend durchstreift hatte. Schließlich sei er in der Hütte einer früheren Kurtisane namens Fräulein Ling, die selbst todkrank wäre, gestorben. Sollte diese Frau ebenfalls gestorben sein, so weise ich Euch an, ihre Hütte zusammen mit den dort befindlichen beiden Leichen niederbrennen zu lassen, damit sich die Krankheit nicht weiter ausbreitet. Benachrichtigt die Familie Li. Die Frau hat nach unserer Kenntnis keine Verwandten.« Diesen Brief versah er mit seiner Unterschrift. Nach nochmaligem Durchlesen feuchtete er seinen Schreibpinsel abermals an und setzte folgendes Postskript darunter: »Auch erfuhr ich, daß Kia Yu-po die Insel mit einem Mädchen, das er liebt, verlassen hat. Eine ältere und tiefere Zuneigung möge Eurer Tochter zum Trost gereichen. Ihr bitte ich meine aufrichtigen Wünsche für eine glückliche Zukunft zu übermitteln.«
    Er nahm einen neuen Bogen zur Hand und verfaßte einen Brief an Tau Pan-te. Darin schrieb er, daß der Mörder seines Vaters entlarvt worden sei. Er sei aber nach einer langen, schmerzhaften Krankheit gestorben. Er setzte hinzu: »So hat der Himmel selbst das Euch angetane Unrecht gerächt, und nichts steht daher einer engeren Verbindung zwischen den beiden Familien Tau und Feng im Wege, die also ihre alte Freundschaft besiegeln und auf eine neue Generation übertragen soll.«
    Er verschloß die beiden Briefe und bezeichnete sie als »Persönlich.« Dann rollte er seine amtlichen Berichte mitsamt den Anlagen zusammen und steckte die umfangreiche Rolle in seinen Ärmel. Von seinem Stuhl aufstehend, sagte er zu Ma Jung:
    »Wir wollen heimwärts reisen über Tschin-hwa. Dort werde ich Amtmann Lo meinen Bericht übergeben.«
    Sie schritten durch die Empfangshalle, Ma Jung bepackt mit den Satteltaschen.
    Richter Di beglich die Rechnung beim Wirt und händigte ihm die beiden Briefe für Feng Dai und Tau Pan-te aus, die sofort bestellt werden sollten.
    Gerade als sie in den Vorderhof hinaustraten, um ihre Pferde zu besteigen, erschollen die Gongs in der Außenstraße, untermischt von lauten Rufen: »Platz da, macht Platz!«
    Ein Dutzend schweißbedeckter Träger bog mit einer großen Amtssänfte in den Vorderhof ein. Ein Trupp
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