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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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stellen. Ich wollte ihn frei heraus fragen, was er, der Sohn eines mir bekannten, hervorragenden Mannes, mit seiner Beteiligung an einer finsteren Verschwörung gegen mich bezwecke. Gleichzeitig wollte ich ihn wegen seines ehrlosen Angriffs auf meine Tochter, damals auf dem Boot, zur Rechenschaft ziehen. Auf dem Weg hierher begegnete mir indessen im Park Wen Yüan. Seltsamerweise rief dieses Zusammentreffen die Erinnerung in mir wach an jene Nacht vor dreißig Jahren, als ich mich auf dem Weg zu Tau Kwang befand und mir dieser Wen ebenfalls begegnete. Auf den Kopf sagte ich Wen seine verräterischen Pläne gegen mich zu; ich befände mich auf dem Wege zum Akademiker, den ich zur Rede stellen wolle. Wen erging sich in Entschuldigungen, gab aber zu, daß er in einem schwachen Moment den Plan mit dem Akademiker erwogen habe, mich von meinem Posten zu verdrängen. Da sich der Akademiker anscheinend in dringender Geldnot befand, habe er zunächst zugestimmt. Doch später habe er sich, aus diesen oder jenen Gründen, die Sache anders überlegt und Wen wissen lassen, daß der Plan für ihn hinfällig sei. Wen redete mir zu, die Unterredung mit dem Akademiker abzuhalten, der würde das Gesagte bestätigen.
    Als ich dieses Zimmer betrat, wußte ich, daß mich meine unbestimmten Vorahnungen nicht betrogen hatten. In sich zusammengesunken saß der Akademiker in seinem Stuhl, tot. Hatte Wen davon gewußt und mich absichtlich hergeschickt, damit ich bei dem Toten entdeckt würde? War sein Plan, mich dann zu beschuldigen, ich habe den jungen Mann ermordet? Vor dreißig Jahren hatte ich Wen im Verdacht eines ähnlichen Anschlags gehabt, nämlich mich des Mordes an Tau Kwang zu bezichtigen. Ich erinnerte mich aber nun, wie der alte Mord in einen Selbstmord verwandelt worden war. Ich beschloß, denselben Trick anzuwenden. Das übrige geschah so, wie ich es Euer Gnaden heute nachmittag erzählte. Als festgestellt worden war, daß sich der Akademiker wegen verschmähter Liebe zu Herbstmond selbst umgebracht habe, erzählte ich meiner Tochter den ganzen Sachverhalt. Dadurch wurde sie zu dem impulsiven Versuch veranlaßt, mein Vergreifen an der Leiche zu verdecken.« Er räusperte sich und fuhr unglücklich fort: »Worte vermögen nicht auszudrücken, wie sehr ich das alles bedauere, Euer Gnaden. Nie in meinem Leben habe ich mich vor mir selber so geschämt wie in dem Augenblick, wo ich Euer Gnaden irrtümliche Auslegung der letzten Zeilen des Akademikers bekräftigen mußte. Wirklich, ich …«
    »Ich habe nichts dagegen, wenn man mich zum Narren hält«, bemerkte Richter Di in trockenem Ton. »Ich bin daran gewöhnt, weil es mir alle Tage passiert. Zum Glück komme ich stets dahinter, ehe es zu spät ist, trotz alledem. Also, es ist erwiesen, daß sich die letzten Zeilen des Akademikers auf Herbstmond bezogen. Doch tötete er sich nicht ihretwegen.« Der Richter lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er strich seinen langen schwarzen Bart und fuhr nachdenklich fort: »Der Akademiker war ein hochbegabter Mann, aber auch kalt und berechnend von Natur aus. Sein Erfolg kam zu früh, er stieg ihm zu Kopfe. Er war Akademiker geworden, nun wollte er höher steigen, und zwar schnell. Aber dafür brauchte er viel Geld, und das hatte er nicht, weil der Familienbesitz heruntergewirtschaftet war durch schlechte Ernten und verfehlte Spekulationen. Daher arbeitete er in Gemeinschaft mit Eurem alten Widersacher Wen Yüan einen Plan aus, um Zugang zum märchenhaften Reichtum der Paradiesinsel zu gewinnen. Zehn Tage ist es her, daß er hier ankam und jenen Plan in die Tat umsetzen wollte, zuversichtlich und übermütig. Als er Eurer Tochter an jenem Abend auf dem Boot begegnete, wurde sein Stolz durch ihre Weigerung verletzt, infolgedessen versuchte er, sich des Mädchens mit Gewalt zu bemächtigen. Als sich nun der Kunsthändler zu dem vereinbarten Treffen auf dem Landungssteg einfand, kochte er noch immer innerlich vor Wut über diese Abfuhr. Er verlangte von Wen Beistand, damit er Eure Tochter gewinnen könne, und beruhigte ihn damit, daß Ihr ja doch bald verhaftet sein und nach der Hauptstadt geschickt würdet, wegen Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Wen ging darauf ein und erklärte dem jungen Mann, wie er Eure Tochter zwingen könne, ihm zu Willen zu sein. Dieser niederträchtige Kunsthändler sah auf einmal seine Chance gekommen, Euch auch einen persönlichen Schlag zu versetzen.«
    Richter Di nahm einen Schluck aus seiner Teeschale. Dann
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