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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07
Autoren: Gulik
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wie ein Nichts, Liebster, ein böser Traum, ein Nachtgespenst. Erst gestern war es, daß wir uns trafen im Roten Zimmer … rot wie unsre Leidenschaft, unsre brennende, stürmische Liebe. Kein Mensch wußte, daß wir dort zusammenkamen, du, der stattliche, hochbegabte junge Beamte, der mich liebte, die schönste, reizvollste aller Kurtisanen, die Blumenkönigin der Paradiesinsel! Feng Dai, Tau Kwang und viele andere bemühten sich um meine Gunst. Ich ermutigte sie, täuschte Unentschlossenheit vor, nur um unser Geheimnis, unser süßes Geheimnis zu hüten.
    Dann kam jener letzte Abend … wann war es? War’s nicht gestern? Gerade als du meinen zitternden Körper in deinen starken Armen drücktest, hörten wir plötzlich jemand im Wohnzimmer. Du sprangst aus dem Bett, nackt wie du warst, und schon warst du drüben. Ich folgte dir, sah dich dort stehen, deinen geliebten Körper vom roten Feuer der untergehenden Sonne umlodert. Als uns Tau Kwang so dicht aneinandergedrückt stehen sah, nackt und herausfordernd, wurde er weiß vor Wut. Er zog den Dolch und schleuderte mir einen Schimpfnamen ins Gesicht. ›Töte ihn!‹ schrie ich. Du sprangst ihn an, entwandest ihm den Dolch und stießest ihn durch die Gurgel. Das Blut bespritzte dich, rotes Blut auf deine rote, breite Brust. Nie, nie habe ich dich heißer geliebt als dann …«
    Die verzückte Freude drückte dem verwüsteten, blinden Gesicht den Stempel einer seltsamen Schönheit auf. Der Richter neigte seinen Kopf. Er hörte, wie die bebende Stimme fortfuhr:
    »Ich sagte: ›Schnell anziehen und fliehen!‹ Wir eilten ins Rote Zimmer zurück, aber gleich darauf hörten wir jemand ins Wohnzimmer kommen. Du gingst hinüber und sahst, daß es ein kleiner dummer Junge war. Er rannte sofort wieder weg, aber du sagtest, er könnte dich wiedererkennen. Es wäre besser, den Körper des Toten ins Rote Zimmer zu schaffen, wir sollten ihm den Dolch in die Hand geben, die Tür hinter uns zuschließen und den Schlüssel unter der Tür ins Zimmer schieben … dann sähe es so aus, als habe Tau Selbstmord begangen.
    Auf der Veranda nahmen wir Abschied voneinander. Im kleinen Kiosk, drüben im Park, zündete man gerade die Lampions an. Du sagtest, du würdest einige Wochen wegbleiben und abwarten, bis man den Selbstmord ins Sterberegister eingetragen habe. Nachher … wolltest du zu mir zurückkehren.«
    Sie begann zu husten. Der Husten wurde immer schlimmer und schüttelte schließlich ihren verbrauchten Körper. Blutiger Schaum trat auf ihre Lippen. Achtlos wischte sie ihn weg und fuhr dann mit plötzlich schwach und heiser gewordener Stimme fort:
    »Man fragte mich, ob Tau mich geliebt habe. Ich antwortete ja, er habe mich geliebt, und das war wahr. Man fragte mich, ob Tau gestorben sei, weil ich ihn nicht haben wollte. Ich antwortete ja, er sei wegen mir gestorben, und das war wieder wahr. Aber dann kam die Krankheit … ich wurde angesteckt, sie zerstörte mein Gesicht, meine Hände … meine Augen. Ich wollte sterben, ich sehnte mich nach dem Tod, ja nur sterben, ehe du mich wiedersahst, so wie ich geworden war … Dann kam das Feuer, andere kranke Frauen schleppten mich mit fort, über die Brücke, in den Wald.
    Ich starb nicht, ich lebte. Ich, die ich mich nach dem Tode sehnte! Ich nahm die Papiere von Fräulein Ling an mich, die Goldjaspis genannt wurde. Sie war gestorben, im Feldgraben, an meiner Seite. Ich kehrte zurück, aber du meintest, ich sei tot, und ich ließ dich gern in diesem Glauben. O wie glücklich war ich, als ich hörte, daß du ein großer, berühmter Mann geworden warst! Das allein hielt mich am Leben. Und jetzt endlich bist du zurückgekehrt zu mir, in meine Arme!«
    Plötzlich versank die Stimme in Schweigen. Richter Di blickte auf und bemerkte, wie ihre spinnendünnen Finger zaghaft über den still gewordenen, in ihrem Schoß ruhenden Kopf strichen. Das eine Auge hatte sich geschlossen, die Lumpen, die eine eingesunkene Brust deckten, regten sich nicht mehr.
    Indem sie den grausigen Kopf an ihre flache Brust preßte, rief sie jammernd aus:
    »Du kehrtest zurück, dem Himmel sei Dank! Du kehrtest zurück, um in meinen Armen zu sterben … und ich mit dir.«
    Sie hielt den toten Körper innig an sich gepreßt und wisperte zärtliche Worte.
    Der Richter wandte sich ab und ging hinaus. Knarrend fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Zwanzigstes Kapitel
    Als Richter Di zu Ma Jung wieder zurückgekehrt war, fragte ihn sein Gehilfe begierig:
    »Ihr wart
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