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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Autoren: Dieter Borchmeyer
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wohl durchschaut, lässt sich erst auf Bitten ihres Mannes dazu bewegen, dem Ritter das Eisen aus der Seite zu ziehen, wobei sie vor Scham fast vergeht. Kaum genesen, dringt der Ritter nachts in ihr eheliches Gemach ein und drückt die Widerstrebende so heftig an sich, dass die Wunde wieder aufbricht und er – wie Wagners Tristan – an ihr verblutet. Heimlich trägt die Frau den Toten in seine Herberge zurück. Erst jetzt wird ihr die Größe der Liebe des Ritters bewusst. Als er in der Kirche aufgebahrt wird, erscheint sie, deren Liebesgeheimnis niemand als ihre Zofe kennt (vgl. Brangäne!), um dem Ritter ein Totenopfer zu bringen. Vor dem Opfertisch legt sie – »si vergaz vor leide gar der scham« – ein Kleidungsstück nach dem anderen ab, bis sie im bloßen Hemd dasteht, und bricht tot an dem Leichnam zusammen: ein mittelalterlicher »Liebestod«. Und das »büechelîn« schließt gar mit dem Lobpreis der Frau durch ihren Ehemann und der gemeinsamen Bestattung der beiden Liebenden: »Dâ legte man sie beide / mit jâmer und mit leide / in ein grap, die holden. / sus het si im vergolden, / unt tet im ganze triuwe schîn.« Treue gilt hier dem Geliebten – nicht dem Ehemann, der selber in den Preis dieser außerehelichen Liebe einstimmt.
    Erstaunlich, dass der blutjunge Wagner gerade eine solche zu seiner Zeit so gut wie unbekannte Erzählung, welche die exzentrischen Liebeskonstellationen seiner späteren Musikdramen vorwegnimmt, für sich entdeckte. Und kein Wunder, dass ihn später die Tristan -Verwandtschaft dieses Minne-Märe fasziniert hat. Das Thema einer Liebe, welche nicht nur eine bestehende Ehe, sondern überhaupt die gesellschaftliche Konvention radikal durchbricht, das Nichteingestehen dieser Liebe aufseiten eines der beiden Partner, die »geheimnisvolle Stärke der leidenschaftlichen, in sich verschlossenen Emp fi ndung« (ML 75), die schließlich umso elementarer ausbricht, ihre tödliche Konsequenz, der Liebestod, das Nachsterben des zunächst überlebenden Partners: das sind die unverkennbaren motivischen Parallelen zwischen Hochzeit und Tristan . Wenn es in der Autobiographischen Skizze heißt, dass die Braut am Ende »entseelt über die Leiche hin« sinkt (GS I, 9), so nimmt das den Schluss des Tristan vorweg, wo es ebenfalls heißt, dass Isolde »auf Tristan’s Leiche« sinkt (GS VII, 81).
    In Mein Leben nennt Wagner seine Hochzeit ein »vollkommenes Nachtstück von schwärzester Farbe«, bei dem wieder einmal E. T. A. Ho ff mann Pate gestanden habe und das von dem ihm »damals so teuren musikalischen Mystizismus« (ML 75) geprägt gewesen sei. »Mit Verschmähung jedes Lichtscheines und namentlich jeder ungehörigen opernhaften Ausschmückung« habe er den Plan »schwarz auf schwarz« ausgeführt (ML 76). Zwei Motive klingen in dieser Äußerung an, die für Wagners musikdramatisches Scha ff en von größter Bedeutung sein werden: die romantische Sympathie mit der Nacht, die den ein Jahrzehnt später entstandenen, sto ff lich unmittelbar von E. T. A. Ho ff mann inspirierten Entwurf Die Bergwerke zu Falun (WWV 67) und vor allem natürlich das große Nachtpoem Tristan und Isolde prägen wird, zum anderen die Abweichung von den opulenten Opernkonventionen. Beides scheint Wagners Familie, insbesondere seiner Schwester Rosalie, nicht behagt zu haben. Mehr noch dürfte das Unbehagen freilich durch den – allem bürgerlichen Moral-Emp fi nden widerstrebenden – Dreieckskon fl ikt ausgelöst worden sein.
    Wagners nächstes Sujet, »die romantische Oper in drei Akten« Die Feen (WWV 32), sein erstes vollständig erhaltenes Werk für die musikalische Bühne (1833/34), ist jedenfalls trotz des gemeinsamen – romantisierten – mittelalterlichen Ambientes der Hochzeit in jeder Beziehung entgegengesetzt. Der dort verschmähte Lichtschein und die als ungehörig gemiedene opernhafte Ausschmückung feiern in den Feen ein wahres Theaterfest. Der Unvereinbarkeit von Ehe und Geschlechtsliebe wird in den Feen zum einzigen Mal in Wagners Gesamtwerk – und zur Befriedigung seiner Schwester Rosalie – die Glori fi zierung der Familie entgegengesetzt.
    Die Hauptpersonen Ada und Arindal sind acht Jahre verheiratet, und ihre Ehe ist mit Kindern gesegnet. Eine derart intakte Familiarität wird in keiner Oper Wagners mehr vorkommen. Kinder gibt es innerhalb der Opernhandlung bei ihm sonst nur als an der Grenze zur Mündigkeit stehende Voll- oder Halbwaisen, bzw. ihre Herkunft ist außerehelich. Mütter sind
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